1. Februar 1915

 

 

Nachrichten aus Przemysl.

 
Leipzig, 31. Jänner. Die "Leibziger Neuesten Nachrichten" veröffentlichen folgenden Feldpostbrief aus Przemysl an eine hier lebende Dame. In dem durch Fliegerpost beförderten Briefe heißt es: "Über zwei Monate dauert nun schon die zweite Belagerung. Während dieser Zeit sind schon oft russische Flieger oberhalb der Stadt zu Besuch gewesen und haben Bomben geworfen. Schaden sehr geringfügig. Vor Przemysl sind weniger Russen als wie bei der ersten Belagerung, ein erfolgreicher Angriff ihrerseits daher ganz ausgeschlossen, sie begnügen sich auch damit, uns nur umklammert zu halten und unsere Vorfeldpositionen anzugreifen. Sie hoffen, nachdem sie das erstemal so traurige Erfahrungen gemacht haben, uns durch Aushungern zur Übergabe zu zwingen. Doch wird ihnen das auch nicht gelingen, denn obwohl wir jetzt schon fast ausschließlich Pferdefleisch essen, haben wir für ein halbes Jahr Proviant. In der Zeit wird die Befreiungsarmee längst hier sein und die Russen verjagt haben. Mit der Zeit hat sich übrigens zwischen uns und ihnen eine Art ritterliches Kameradschaftsverhältnis gestaltet, denn zu unseren Weihnachtsfeiertagen wünschten an mehreren Stellen der Festung durch Anschlagen von großen Zetteln die Russen uns fröhliche Weihnachten. Zum Neujahr drückten sie den Wunsch aus, daß bald Friede werde und unsere Wünsche alle in Erfüllung gehen sollen. Zu ihren Feiertagen wurden von uns an verschiedenen Stellen gute Torten, Zigarren hinübergeschickt mit den besten Wünschen. Am nächsten Tage kamen zwei russische Offiziere und baten um zwei unsrige zu einer Unterredung. Diesen drückten sie ihren Dank aus, sprachen von baldigen Friedensverhandlungen und sagten, wenn sie auch gegen uns kämpften, betrachten sie uns nicht als Feinde. Seit Weihnachten wurden auch nur hie und da Schüsse gewechselt, es herrscht eine friedliche Ruhe. Nur mit besonderem Interesse lauschen wir auf den entfernten Kanonendonner der herannahenden Ersatzarmee. Alle wünschen sie sehnlichst herbei, schon zu Weihnachten glaubten wir die Festung offen, doch sahen wir uns getäuscht. Nichtsdestoweniger wird nun bald die Zeit kommen, wo wir uns regelmäßig unsere Briefe zusenden können. Denn obwohl dies jetzt durch mich oder einen meiner Kameraden über den Köpfen der Russen geschieht, ist dies wegen verschiedener Gründe nur selten möglich.
 

 

 

Przemysl.

 
Wien, 1. Febr. Nowiny Wiedenski erfahren von einem soeben in Wien eingetroffenen Lemberger Flüchtling, die Przemysler Festung ist in der russischen Armee legendär geworden. Die Soldaten erzählen einstimmig, jeder Kopf müsse an den Festungsmauern zerschellen. Allgemein wird die ungemein tapfere Verteidigung der Besatzungsarmee bewundert und die Kunde von den Hekatomben russischer Leichen an den Verteidigungswällen vor Pzremysl rief Staunen und Angst vor der Teufelsfestung hervor. Eine andere Armeegruppe ist wieder der festen Meinung, der göttliche Geist habe die Stadt Przemysl in seinem Schutze, so daß alle Einnahmsversuche einfach zwecklos sind. Als einmal vor dem Lemberger Denkmal des Polenkönigs Sobieski einige Kosaken neugierig standen und ihnen bedeutet wurde, das Denkmal stelle einen der größten polnischen Könige und Helden vor, der die Türken 1683 vor Wien geschlagen hatte, lächelte ein Kosak bitter auf und sprach: "Ich wäre begierig zu wissen, ob er auch so gegen Przemysl gänge?"
 

 

2. Februar 1915

 

 

Aus dem belagerten Przemysl.

 
schreibt Genosse Julius Reiter, der bei der Festungsartillerie dient, an seine Frau:

Przemysl, am 11. Jänner 1915

 
Durch die Güte eines Kollegen aus Teplitz, mit dem ich aktiv diente, dürfte es mir gelingen, Euch meine Lieben, ein Schreiben zukommen zu lassen. Über die feindliche Belagerungsarmee hinweg wird dieser Fliegerheld meiner Frau und meinen Kindern, die mir täglich im Gedächtnisse sind, Nachrichten und Grüße zu bringen . . . Ich bin gesund und habe bis heute, nach 67 tägiger Belagerung keine Not gelitten. Ich bin in einer hübschen Baracke untergebracht, habe ein schönes Nachtlager in der Nähe des Ofens, und - wie jeder andere auch - zwei wollene Decken. Die Verpflegung ist den Verhältnissen entsprechend gut. Wir bekommen jeden Tag Suppe und Fleisch, früh schwarzen Kaffee, zum Nachtmahl Reissuppe und täglich Brot; zuweilen sogar ein Viertel Wein. Weihnachten haben wir schön verlebt, uns nach Möglichkeit unterhalten und sogar gesungen. Ein schöner großer Baum wurde aufgeputzt; das Geschäft des Anbindens hatte ich übernommen. Während der Feiertage hatten wir auch einigemal Tee mit Rum oder guten Kaffee mit Zeltchenzwieback. Da hat fein geschmeckt. Kurz und gut, es waren Soldatenfeiertage, die umso schöner waren, je weniger die Russen uns an diesen beschossen . . . Paar Kreuzer hat zwar ein jeder, aber es ist nichts zu bekommen, höchstens dann, wenn man alles doppelt oder dreifach bezahlt. In der Stadt, die zirka sechs Kilometer von unserer Siedliska entfernt liegt, sind die Gast- und Kaffeehäuser gesperrt, bloß die Leinen- und Tuchhändler verkaufen ihre Waren zu enorm teuren Preisen. Das Kinotheater ist geöffnet; ich habe es mir auch einmal angesehen und es hat mir gut gefallen. - Vorigen Monat hatten wir viel mit den Fliegern zu tun, täglich wurden von ihnen Bomben geworfen. Einmal fiel eine solche Bombe in unser Lager, zum großen Glück etwas zu früh, denn sie zertrümmerte nur die Offiziersmenage, während die Offiziere noch nicht im Lager waren. Diese Bomben sind furchtbar! - Wir haben die Flieger immer davongejagt und jetzt ist wieder eine Weile Ruhe vor ihnen. Aber wie lange . . . ?
 

" I-ha-ha-ha" in Przemysl.

 
So sicher wie in Wien fühlt sich Genosse Ernst, der bei einer Fliegerkompagnie in Przemysl dient, in der eingeschlossenen Festung. So sagt er in einem längeren Briefe an seine Eltern, dem wir folgendes entnehmen:

" . . . Jetzt sind es nun schon bald acht Wochen, daß wir von der Außenwelt abgeschnitten sind, aber allgemein hört man, daß wir nun bald entsetzt werden sollen. Den Russen muß es doch schon zu dumm sein, denn bis jetzt haben sie sich nur immer den Schädel zerstoßen an den Werken rings um Przemysl. Diese starke Festung werden sie nie erobern; in Przemysl fühle ich mich so sicher, wie in Wien. Es scheint aber auch, daß sie es mit dem Aushungern versuchen wollten. Da sind sie eher alle selbst früher hin, denn hier gibt es noch ungeheure Vorräte an Lebensmitteln. Wohl bekommen wir nicht alle Tage Rindfleisch, dafür sind aber noch viele tausend Pferde hier. Da gibt es jeden zweiten Tag "I-ha-ha-ah"! - Den hl. Abend haben wir sehr schön gefeiert, im Frieden könnte er nicht schöner gewesen sein. Da gab es zu trinken und zu essen im Überfluß. vom Herrn Hauptmann bekamen wir Rum, Tee und Zucker, eine Flasche Schnaps und von anderen Offizieren erhielten wir wieder drei Flaschen Wein, bloß kein Bier gab es. Vier Monate schon habe ich keines getrunken und hätte nie geglaubt, daß ich es so lange aushalten könnte." - "Sehr gerne möchte ich wieder einmal eine Zeitung lesen, was man über Przemysl schreibt in der Welt. Meiner Ansicht nach ist die Festung Przemysl uneinnehmbar. Sie wird und muß es bleiben! . . .
 

 

3. Februar 1915

 

 

 
     H.Krakau, 2. Februar. Der sozialdemokratische "Navrzod" berichtet aus Lemberg, daß unter den dortigen russischen Soldaten wahre Legenden über die Festung Przemysl in Umlauf sind. Die russischen Soldaten erzählen der Lemberger Bevölkerung, daß an den Mauern von Przemysl alle Anstürme scheitern und alles in Trümmer gehen müsse. Die Tatsachen, wie von der unerhörten heldenmütigen Verteidigung der Festung während der ersten Belagerung, sowie die enormen Verluste der Russen, riefen unter den russischen Soldaten eine furchtbare Angst vor dem Befehle hervor, gegen diese "entsetzliche Festung" zu marschieren. Kein Wunder, wenn da unter den russischen Soldaten allerlei Legenden über diese "furchtbare Festung" entstanden.
     Die russischen Soldaten singen auch ein Lied, in welchem es heißt, daß Przemysl ein Teufel erbaute und nur wieder Teufel diese Festung erobern können. Viele russische Soldaten, welche die erste Belagerung der Festung mitgemacht haben, erzählen, daß sie gesehen haben, wie die Gottesmutter mit ihrem Mantel die Stadt beschütze und alle gegen die Stadt gerichteten Geschosse abprallen. Als unter dem Sobieski-Denkmal in Lemberg ein Herr einer Gruppe russischer Soldaten die Bedeutung des Sobieski, des Kämpfers gegen die Türken bei Wien, erklärte, erwiderte einer der russischen Soldaten: "Ich bin neugierig, ob er auch gegen Przemysl so vorgehen wird!"
 

 

5. Februar 1915

 

 

Die tapfere Besatzung von Przemysl.

 
Bukarest, 4. Februar "Journal de Balkan" befaßt sich in einem längeren Artikel mit den erfolglosen Versuchen der Russen, die Festung Przemysl zu nehmen, und zollt der österreichischen Besatzung höchstes Lob. Das Blatt gedenkt bei diesem Anlasse auch mit Bewunderung der österreichischen Flieger, die den Verkehr mit der eingeschlossenen Festung vermitteln.
 

 

 

Aus Przemysl.

 
Budapest, 4. Febr. Aus dem Kriegspressequartier meldet Franz Molnar: Die von Przemysl ständig einlaufenden Meldungen besagen, daß die gegenwärtig die Festung einschließenden Russen ihre Tätigkeit nur auf Wachsdienst beschränken. Sie lassen sich auf keinerlei Angriffsaktionen ein. Die Lage ist so günstig, daß es gar nicht begründet wäre, Tag für Tag telgraphische Meldungen zu senden, wenn in Oesterreich-Ungarn nicht viele tausende Familien wohnten, für die in dieser Zeit Przemysl wichtiger ist, als alles andere.
 

 

6. Februar 1915

 

 

Kein Privatbriefverkehr nach Przemysl.

 
      Wien, 4. Februar. (K.k. Telegraphen-Korrespondenzbureau.) Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet: In der Oeffentlichkeit ist vielfach die Meinung verbreitet, daß zur Beförderung von Privatnachrichten nach Przemysl eine regelmäßige Fliegerpost eingerichtet sei. Dies ist vollkommen unzutreffend. Die Flieger, die im Bedarfsfalle nach Przemysl abgefertigt werden, sind bei voller Ausnützung des in Betracht kommenden Raumes und in Ansehung der möglichen Gewichte lediglich in der Lage, die für das Festungskommando in Przemysl bestimmte dienstliche Post zu befördern. Daß sie auch die nach Waggonladungen zählende Privatpost mitnehmen, ist naturgemäß vollkommen ausgeschlossen. Es wollen deshalb in Hinkunft keine Briefe an die in Betracht kommenden Kommandos mit dem Ersuchen gerichtet werden, "die beiliegenden Briefe und Karten weiter nach Przemysl zu befördern", weil diese Kommandos beim besten Willen nicht in der Lage sind, diesen Wunsch zu erfüllen, und bei der Unmenge derartiger Briefe mit ihrem Manipulationspersonal das Oeffnen und Sortieren der Sendungen nicht mehr bewältigen können. Aus der Festung Przemysl wird die Privatpost nach wie vor durch die eingerichtete Ballonpost und durch Flieger befördert werden. Den Fliegern ist die Mitnahme von Privatpost aus Przemysl deshalb möglich, weil die dienstliche Posst des Festungskommandos Przemysl verhältnismäßig gering ist.
 

 

 

 
Krakau, 5. Februar. (Privattelegramm des "Neuen Wiener Journals".)
In einer hier eingetroffenen, in Przemysl in drei Sprachen erscheinenden "Feldzeitung" - ungarisch "Tabori Uisag" - polnisch "Gazeta Obozowa" - ist ein Brief abgedruckt, den ein gefangengenommener russischer Soldat, Stanislaus Pawlowsky aus dem 326. Wolhynierregiment, an seine Familie zur Zeit der Belagerung der Festung schrieb, ihn aber nicht mehr absenden konnte. In dem Schreiben spiegelt sich die Stimmung wider, die unter den Belagerern herrscht. Es heißt in dem Briefe:
     Przemysl ist die größte Festung der Welt. Da die benachbarten Dörfer eingeäschert sind, müssen wir in Schützengräben, in Wäldern oder auf offenem Felde kampieren. Von der Festung wird fortwährend auf uns geschossen, und sie haben so furchtbare Geschütze, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Wenn ein solches Geschoß explodiert, entsteht in der Erde ein so großes Loch, daß man darin unser ganzes Haus verstecken könnte. Die Festung befehligt ein furchtbarer Kommandant, den noch niemand besiegte. Man spricht davon, daß er mit dem Teufel gemeinsame Sache gemacht habe, aber ich glaube eher, daß ihn gute Engel beschützen, da in der Stadt viele Kirchen sind und in einer derselben sich eine ebensolche Wunder-Gottesmutter wie in Szenstochau befindet. Drei Bischöfe verrichten dort fortwährend Gebete. So wie die Schweden Szenstochau nicht erobern konnten, so werden wir Przemysl nicht einnehmen können, denn die Gottesmutter beschützt mit ihrem Mantel diese Festung. Es ist auch eine Sünde, einen solchen Ort zu überfallen.
 

 

 

Aus Przemysl.

 
     "Durch die Erfahrungen der ersten Belagerung sind die Russen vorsichtiger geworden, auch benötigen sie ihre Kräfte, insbesondere die Artillerie für den kampf im Felde, so daß wir gegenwärtig von zirka fünf Divisionen (60.000) Mann eingeschlossen sind. Sie haben im Laufe der sieben Wochen starke Befestigungen um Przemysl angelegt, um mit geringen Kräften unseren wiederholten Ausfällen entgegentreten zu können. Es ist ihnen hauptsächlich um die Entscheidung bei der Armee im Felde zu tun und sie beabsichtigen, die Festung auszuhungern. Ihre geringe Artillerie, die täglich unsere Forts beschießt, imponiert uns nicht, die Verluste sind sehr gering, wohingegen unsere schweren Festungsgeschütze ihre Reihen lichten. Mit Munition und Verpflegsvorräten sind wir - bis auf einige Artikel - noch lange versorgt, es mangelt vorläufig nur an Sohlen und Zündhölzchen und es werden schon Versuche unternommen, dieselben in eigener Regie zu erzeugen. Zwei Offiziere fassen eine Schachtel Zündhölzchen für die Dauer eines Monats. Statt Sohlen verwenden wir altes Riemenzeug, das mit selbstverfertigten Holzpflöcken aufgenagelt wird.
     Mein Bataillon ist in der ersten Kampfstellung in der Gürtellinie und hat ein Werk, zwei Stützpunkte und die dazwischen liegende Intervallinie in einer Länge von zweitausend Schritten an der Südfront der Festung besetzt. Die Unterkünfte sind unterirdisch, doch haben wir sie im Laufe der Zeit möglichst wohnlich eingerichtet. Tagtäglich wird von den Besatzungstruppen und den Arbeiterabteilungen an der Vervollständigung der Verteidigungslinie gearbeitet, wozu uns der Feind merkwürdigerweise hinlänglich Zeit läßt. Er hat es wohl oft versucht, diese Arbeiten durch seine Artillerie zu stören, jedoch ganz erfolglos. Während der ersten Belagerung war mein Aufenthalt in einem Erdwerke, hat sich infolge geringer Uebersicht der Kampflinie nicht vorteilhart erwiesen, seit sechs Wochen bin ich in einer Holzhütte - gut maskiert und gedeckt durch einen Bahndamm - untergebracht und fühle mich hier mit meinem Adjutanten, den beiden Offiziersdienern, zwei Telephonisten und vier Ordonnanzen ganz wohl. Solange die Vorposten draußen stehen, ist auch die Gefahr eines plötzlichen Angriffes nicht gegeben und die Nachtruhe weniger gestört. Hie und da verirrt sich eine feindliche Granate in die Nähe meiner Bude, auch zwei Bomben von Fliegern sind unweit eingefallen, doch sind wir schon gegen solche Vorkommnisse abgestumpft, wir beachten sie gar nicht.
     Bei den täglich stattfindenden Vorpostengefechten haben sich die Reihen meines Bataillons schon gelichtet, viele brave Leute haben da draußen in harten Kämpfen den Heldentod gefunden. Von den Offizieren wurden bisher nur zwei verwundet, hingegen habe ich sechs Kranke Offiziere im Spital, darunter drei geistesgestört, eine leine durch die Verhältnisse bedingte, häufig auftretende Krankheit. Sobald die Festung einmal frei sein wird, gehen diese Unglücklichen als erster Transport in das Hinterland ab. Seit vierzehn Tagen konsumieren die Truppen Pferdefleisch, da wir in der Festung sechstausend Pferde überzählig haben und es an dem nötigen Futter mangelt.
     Täglich hören wird das Geschützfeuer im Westen und Südwesten von unserer Feldarmee und hoffen auf einen baldigen Entsatz. Bleibt er aus, dann ist uns auch nicht bange, wir sehnen uns sogar nach einem neuen Angriff der Russen, den wir mehr als je erfolgreich abzuwehren im Stande sind.
     Seit dem Beginne der zweiten Belagerung war ich in die unangenehme Lage versetzt, acht ruthenische Bauern als Verräter aufhängen zu lassen. Die ersten zwei, die den Russen als Führer dienten und unsere Stellung verrieten, wurden von meinen Patrouillen eingebracht und ohneweiters justifiziert. Ich konnte die darauf folgende Nacht kein Auge zumachen, mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran und es werden mit solchen Verbrechern gar keine Umstände gemacht.
     Von der mir mit Verordnungsblatt vom 4. November verliehenen Allerhöchsten Auszeichnung für tapferes und erfolgreiches Verhalten vor dem Feinde erhielt ich erst am 15. Dezember Kenntnis und war hocherfreut darüber. Diese Auszeichnung erhielt ich für den Ausfall, den ich am 8. Oktober mit einem Tiroler Landsturmbataillon und einem ungarischen Marschbataillon aus der Festung unternommen habe und bei dem es mit gelang, dem zirka zwei Regimenter starken Feinde empfindliche Verluste beizubringen und ihn durch nahezu drei Stunden aufzuhalten. Es war ein furchtbar harter Kampf, die feindliche Artillerie, die auf unsere Angriffsrichtung sehr gut eingeschossen war, hat unsere Reihen stark gelichtet, nach der Rückkehr in die Gürtellinie zählte ich mehr als 200 Verluste, darunter ein Offizier tot, vier verwundet. Unmittelbar neben mit wurde einer meiner Ordonnanzen getötet, ein Sanitätsunteroffizier, der einen schwerverwundeten Tiroler mit Tragbahre zurücktransportierte, von einer Granate schwer verletzt. Am nächsten Tage habe ich mir zwei acht Zentimeter-Schrapnells und ein 10.5 Zentimeter Schrapnell, die in meiner unmittelbaren Nähe einschlugen, geholt und werde sie zur Erinnerung aufbewahren. Der Angriff führte über ein Leichenfeld von Russen, die am 7. Oktober, tags vorher, bei einem Angriffe auf das Fort niedergemäht wurden. Es war ein schauerlicher Anblick, den ich nie vergessen werde.
     Gestern habe ich mit fünf Leutnants des Landsturmes (drei meines Bataillons und zwei Artilleristen) im Werke das Weihnachtsfest gefeiert in einer recht traurigen Stimmung. Vier dieser Herren sind noch nicht ein volles Jahr verheiratet . . .
 

 

11. Februar 1915

 

 

Die Stimmung in Przemysl.

(Privattelegramm unseres Kriegsberichterstatters Georg Bittner.)

 

10. Februar.

     Ich erhalte soeben eine am 31. Januar in Przemysl mittels Fliegerpost aufgegebene Karte, die die Expeditionsnummer 17418 trägt, worin ein junger Artillerieoffizier schreibt: " Hier in Przemysl der Heldenfabrik, geht es allen ausgezeichnet und seitdem ich Nachrichten von zu Hause bekommen habe, fühle ich mich so wohl, wie noch nie."
 

 

13. Februar 1915

 

 

Zum Entsatz von Przemysl.

 
Gaulois berichtet, daß sich eine österreichische Armee von etwa 1/2 Million Mann mit deutschen Verstärkungen in Bewegung gesetzt habe, um Przemysl zu entsetzen. Weiter erklärte ein russischer Kriegsberichterstatter, daß in den letzten Tagen große Luftschiffe über Finnland und den Baltischen Inseln zur Beobachtung flogen.
 

 

 

Vorzügliche Stimmung in Przemysl.

 
     Die Fliegerpost bringt mit eben die neueste Nummer der in Przemysl erscheinenden, von Oberleutnant Hoelzel redigierten Kriegsnachrichten.
     In der Festung ist alles wohl, die Stimmung vorzüglich.

Roda Roda

 

 

 

Ein Wohltätigkeitskonzert in Przemysl.

 
     K.H. Mähr.-Ostrau, 11.Februar. (Priv.) In einem Fliegerbrief aus Przemysl heißt es: Daß die Przemysler trotz Kriegszeit und Belagerung in zeitgemäßer Weise die Geselligkeit pflegen, beweist ein in den "Kriegsnachrichten" vom 4. Februar enthaltener sehr ausführlicher Bericht über ein Wohltätigkeitskonzert. Es wurde veranstaltet zugunsten der Witwen und Waisen nach den bei der Verteidigung der Festung gefallenen Mannschaftspersonen. Aus dem Referat seien folgende Stellen hervorzuheben: Ein Konzert - nicht etwa eine jener pseudokünstlerischen Veranstaltungen, die oft unter dieser Flagge segeln, sondern ein Konzert in des Wortes bester Bedeutung, ein Fest der Töne, mit echter, hoher Musik - fand gestern abends inmitten der belagerten Festung in den gastlichen Räumen des Militärkasinos statt. Der edle Zweck "zugunsten der Witwen und Waisen nach den bei der Verteidigung von Przemysl gefallenen Mannschaftspersonen", dem auch SE. Exzellenz der Herr Festungskommandant G.d.I. von Kusmanek mit seinem Stab und der hohe Klerus durch persönliches Erscheinen im Kreise der Teilnehmer ehrende Anerkennung zollten, rechtfertigte die Veranstaltung in dieser ernsten, schweren Zeit. Denn der guten Werke für jene Armen, die ihre Ernährer im Kriege verloren haben, können nie genug getan werden; und wird dazu dem schönen Zweck noch in so edler Form gedient, wie dies gestern durch das von Professor von Grzywienski veranstaltete Konzert geschah, so kann dies fürwahr nur gelobt werden. Im weiteren Bericht werden die Mitwirkenden angeführt; es waren Frl. Janina Grzywienska und Herr Leutnant Erich Engel, der im Zivilberuf als Kapellmeister am Deutschen Opernhaus in Charlottenburg wirkt, derzeit aber als österreichischer Staatsangehöriger in Przemysl seiner Dienstpflicht nachkommt. Weiter wird genannt Herr Johann Steinbach, der als Violinvirtuose auftrat. Der Bericht schließt mit folgenden Worten:" Den Abschluß des Abends bildete ein flotter, von Herrn Hauptmann Eduard Stocker komponierter und persönlich dirigierter "Festungsmarsch", der unserem verehrten und geliebten Führer, Sr.Exzellenz dem Herrn Festungskommandanten G.d.I. Hermann von Kusmanek gewidmet ist. Er bot mit seinem schneidigen Rhythmus den Uebergang von den hehren Darbietungen des Konzertes zu den Pflichten des Tages, die für wenige Stunden einem Verweilen des Geistes in höhern, weltentrückten Sphären Platz gemacht hatten."
         Die "Kriegnachrichten" erhalten auf drahtlosem Wege stets die neusten Meldungen von den Kriegsschauplätzen, insbesondere die Kommuniques aus den Hauptquartieren.
     Aus allen Veröffentlichungen des Blattes geht unzweideutig hervor, daß in der Festung tatsächlich zuversichtliche Stimmung und ein musterhaft geordnetes Leben herrscht.
 

 

14. Februar 1915

 

 

Kriegsnachrichten aus Przemysl.

 
Herr Obeleutnant Hölzer, ein Prager, sendet uns mit Fliegerpost die letzte Nummer der Przemysler "Kriegsnachrichten", die wieder zeigt, daß die eingeschlossene Besatzung der Festung durch Radiogramme von allen wichtigen Kriegsereignissen unterrichtet wird. Wir finden in der uns zugeschickten Nummer das folgende Kriegsgedicht eines böhmischen Soldaten, des Gefreiten im k.u.k. Landsturm-Infanterie-Regiment Nr.21 Rudolf Völker:
 

Ein Lansturmlied "Kusmanek Hurrah!"

Der Russ´steckt seine Nase
Herein nach Oesterreich,
Und kam in groß´Extase,
Als er vernahm zugleich,
[Daß Landsturmleut sind da
Und Kusmanek, hurrah!]

"Mir hilft der Russophile",
Ruft aus sein freches Maul;
"Der Schuft führt mich zum Ziele",
Doch ist die Sache faul;
[Denn Landsturmleut sind da
Und Kusmanek, hurrah!]

Er will des Reiches Schlüssel
Die Festung an dem San,
Doch stößt er sich den Rüssel
Gehörig daran an;
[Denn Landsturmleut sind da
Und Kusmanek, hurrah!]

Drum auf, ihr Landsturmbrüder,
Laßt leben unsern Held,
Und singest immer wieder:
[Die Landsturmleut sind da
Und Kusmanek hurrah!]

 
Die Redaktion der "Kriegsnachrichten" bemerkt dazu: Das volkstümlich gehaltene Liedchen wurde von einem der braven Landsturmmänner, die mit so viel Wachsamkeit auf ihrem Posten am Gürtel unseres Bollwerkes stehen, im Kreise froher Kameraden gedichtet, in Töne gesetzt und Se. Exzellenz dem Herrn Festungskommandanten gewidmet. Es wird gewiß rasch die Runde in der Besatzung machen und später auch in unserer Monarchie populär werden.
     Zum Schlusse erfüllen wir den Wunsch des Oberleutnants Hölzer, indem wir seiner in Prag lebenden Gattin mitteilen, daß er wohlauf und vollkommen gesund ist.
 

 

16. Februar 1915

 

 

Przemysl.

 
Wien, 15. Feber. (Priv.) Der "Morgen" meldet aus dem Kriegspressequartier: Die Kämpfe nehmen einen ruhigen aber günstigen Fortgang. Das Wetter ist wärmer geworden, tagsüber zeitweise frühlingsartig. Um Przemysl, dessen Besatzung nach wie vor in bester Stimmung ist, herrscht Ruhe.
     S. Mailand, 15. Feber.(Priv.) Der bekannte Kriegsberichterstatter Magrini depesciert dem "Secolo" aus Petersburg: In den letzten Tagen ist Przemysl von den Russen auf eine harte Probe gestellt und sehr scharf beschossen worden. Das Bombardement hatte aber nicht das geringste praktische Ergebnis.
 

 

17. Februar 1915

 

 

 

 

18. Februar 1915

 

 

Im belagerten Przemysl zelebriert bei der Jordanfeier am 19. Jänner Bischof Szechowicz

mit großer Assistenz vor der griechisch-katholischen Kirche die Messe.

 

 

20. Februar 1915

 

 

Die schweren Mörser in Przemysl.

 
     Krakau, 18. Februar. Ein hieher gelangter Feldpostbrief berichtet, daß eine unserer schweren Batterien in Przemysl einen großen Erfolg hatte. Mit vier Schüssen wurden sieben feindliche Kanonen und zwei Maschinengewehre vernichtet und die Bedienungsmannschaft getötet.
 

 

 

Zuversicht in Przemysl.

 
     Krakau, 19. Februar. (Tel.d."Fremden-Blatt".)
Ein Postbeamter erhielt mit der Luftpost eine Feldpostkarte aus Przemysl, in der der Schreiber die Hoffnung zum Ausdruck bringt, daß die Besatzung von Przemysl binnen zwei Wochen von der unangenehmen russischen Nachbarschaft befreit werden dürfte.
 

 

21. Februar 1915

 

 

Berichte aus Przemysl.

 
     Krakau, 20. Februar. Die Blätter veröffentlichen eine Reihe neuer, interessanter Schilderungen aus einigen Nummern der in Przemysl weiter erscheinenden Zeitung "Ziemia Przemska", welche Blätter durch Fliegerpost hieher gelangten. In einer dieser Zeitungsnummern findet sich ein Bericht über einen Judenpogrom in Pruchnik, einer in der Nähe der Festung gelegenen Ortschaft. Es heißt in dem Berichte: Am jüdischen Versöhnungstage waren die Russen eben wieder in den Ort eingedrungen, als die Juden sich in dem dortigen Gebetshaus versammelt hatten. Die Russen drangen in das Gotteshaus ein und die Kosaken begannen die Anwesenden mit der Nagaika zu prügeln. Die Kosaken veranstalteten daraufhin unter entsetzlichem Geschrei einen furchtbaren Judenpogrom. Die Kosaken drängten unter fortgesetzten Schlägen mit Nagaika Greise, Weiber und Kinder auf die Straße, wo sie in barbarischer Weise mißhandelt wurden, wobei mehrere Personen getötet wurden.
 

Kampf mit einem russischen Aeroplan.

 
     In einer anderen Nummer des genannten Blattes findet sich folgende Schilderung über den Luftkampf zwischen einem russischen und einem österreichischen Flieger: Vom 7. November an war die Festung wieder geschlossen, respektive belagert. Samstag den 5. November erschien über der Stadt ein hoch schwebendes, von Norden kommendes russisches Flugzeug. Der Aeroplan flog so rasch und warf auch eine Bombe auf die Lemberger Vorstadt ab, welche aber glücklicherweise keinen Schaden anrichtete, und flog dann wieder zurück. Zwei Stunden später erschien wiederum dasselbe Flugzeug, diesmal aber viel niederer schwebend. Gleich in der Umgebung des Aeroplans zeigten sich weiße Rauchwolken und starke Detonationen waren vernehmbar. Es waren Schrapnells. Gleichzeitig hörte man das Geknatter der Maschinengewehre. Kurz darauf zeigte sich ein österreichischer Aeroplan, der, hoch fliegend, das russische Flugzeug zu verfolgen begann. Unser Flieger erreichte den Feind etwa oberhalb der Kathedrale, so daß der russische Flieger fortwährend manövrieren mußte, um einerseits dem österreichischen Flieger, andererseits der heftigen Beschießung zu entrinnen. Plötzlich entkam der Russe gegen Pralkowec. Von der Stadt aus hatten tausende Menschen dem aufregenden Luftkampfe zugesehen.

 


 

22. Februar 1915

 

 

Aus dem belgaerten Przemysl.

 
I     n der in dem belagerten Przemysl erscheinenden Zeitung "Ziemina Przemska" erscheint in den Fortsetzungen eine Chronik der in der Festung und in deren Umgebung vorgekommenen Ereignisse. Da einige Nummern des Blattes durch Flugzeuge nach Krakau gebracht wurden, bringen die dortigen Blätter Auszüge aus der Przemysler Chronik.
 
In der sechsten Chronik bespricht das Festungsblatt die in den Dörfern und Städten nächst Przemysl von den Russen begangenen Gewalttaten.
     So nahmen sie auf dem Gutshof in Kosienice, das dem Vizepräsidenten des Landesschulrates Dr. Dembowski gehört, alle Getreide- und Heuvorräte weg, auch das noch unausgedroschene Getreide, ferner mehrere Waggons Kartoffeln, alle Ochsen, Kühe und Pferde, ohne auch nur eine Kopeke dafür zu zahlen. Sie trösteten den Gutsverwalter damit, daß nach dem Kriege alles werde bezahlt werden. Den Teil der "Beute", den sie brauchten, behielten sie, den Rest verschenkten sie an die Bauern, um durch diese "Freizügigkeit" die Bauern für sich zu gewinnen und von ihnen Nachrichten über die österreichischen Stellungen und Informationen über die Fortifikationen der Festung zu erhalten. Auch versprachen sie den Bauern, an sie die Gründe des Gutshofes zu verteilen. Sie waren aber sehr enttäuscht, als sie sahen, wie ungläubig und mißtrauisch die Bauern alle ihre Versprechungen aufnahmen. Als auf dem Gutshof nichts mehr zu nehmen war, kam das Schloß daran. Eines Tages ließen sie vor dem Schlosse eine Anzahl Wagen auffahren und begannen alles aufzuladen, was sich nur aufladen ließ. Der Verwalter versuchte schüchtern, zu protestieren. Als es nichts half, wendete er sich mit seiner Klage an den dort wohnenden russischen General, der, als er angekommen war, ihn aufgefordert hatte, sich mit jeder Beschwerde an ihn zu wenden. Ganz demütig klagte er ihm, daß ihm die Soldaten alles ausrauben. Aber der General hatte nur eine Antwort: "Hinaus!" Draußen wurde er noch von den Soldaten bestohlen, die ihm die Taschen durchsuchten und ihn schließlich auf Befehl des Generals gefangengenommen und weggeführt, unbekannt wohin, da jede Nachricht fehlt.
 
 

 

 

Die abermalige Befreiung Przemysls bevorstehend?

 
     Wien, 20. Febr. In militärischen Kreisen wird der Umstand, daß die Russen den Vormarsch unserer Truppen auf Stanislau nicht zu verhindern vermochten, als Vorzeichen der bevorstehenden abermaligen Befreiung Przemysls angesehen. Die Russen werden durch den Vorstoß der Oesterreicher aus dieser Richtung genötigt sein, die Belagerung Przemysls aufzugeben und vielleicht auch Lemberg zu räumen.
 

 

23. Februar 1915

 

 

Przemysl.

 
Die amtlichen russischen Mitteilungen erwähnen die unausgesetzten Ausfälle der Besatzung von Przemysl; der Kriegskorrespondent des "Rukloje Slowo" meldet: Sehnsüchtig erwartet man bei uns den Fall Przemysls. Töricht ist es, von einem Fehlen des Kriegsmaterials in der Festung zu reden. Der Festungskommandant ist unbedingt ein talentierter General, seine Willenskraft und Sachkenntnis hat ihm schon längst den Ruf eines hervorragenden Soldaten verschafft. Die Festung kann somit noch eine unbestimmte Zeitlang verteidigt werden und alles Geschwätz von einem baldigen Fall ist das Produkt einer abenteuerlichen Phantasie.
 

 

24. Februar 1915

 

 

Das Leben im belagerten Przemysl.

 
     Die Krakauer "Nowa Reforma" erhält aus Przemysl mittelst Flugpost eine interessante Schilderung der Zustände in der Festung, der wir folgendes entnehmen:
     In den ersten Tagen des November wurden wir zum zweitenmal eingeschlossen und belagert. Das letzte Postautomobil verließ die Festung am 5. November. Trotz der Belagerung herrscht in der Stadt geradezu das normale Leben. Wir erhalten täglich radiotelgraphische Nachrichten in polnischer, deutscher und magyarischer Sprache. Jeden Sonntag spielt vor dem Rathause ein Militärorchester, oft allerdings unter Begleitung von Kanonenschüssen aus der Festung. In den Kaffeehäusern herrscht lebhafte Bewegung, der Korso in der Franziskaner- und Miekiewiczgasse ist großstädtisch. Auch in manchen Geschäften ist Bewegung - da dort die Offiziere und Soldaten der Besatzung ihre Angelegenheiten besorgen. Es finden auch öfter Dilettantenvorstellungen zum Besten der Witwen und Waisen der Verteidiger von Przemysl statt. Am 2. Februar war im Saale des Militärkasinos ein großes Konzert. Durch die Bemühungen einiger Personen ist es auch gelungen, ein Gymnasium zu eröffnen, für das der Kommandant ein Haus zur Verfügung stellte. Außerdem sind auch eine Volksschule und eine Bürgerschule geöffnet. In den ersten Tagen des Dezember versuchten russische Flieger, einige Bomben auf die Stadt zu werfen - aber erfolglos. Unsere Batterien beschießen immer sofort die Flieger, die sofort verschwinden. Von den Kämpfen rings um die Festung schreibe ich diesmal nicht - ich erwähne nur kurz, daß der Geist der Besatzung vortrefflich ist. Die Zivilbevölkerung - und es sind in der Festung etwa 15.000 Personen geblieben - verhält sich musterhaft. Die Behauptungen der russischen Presse, daß in der Festung Hungersnot herrsche, sind ein aufgelegtes Märchen. Das Festungskommando kommt der Zivilbevölkerung mit außergewöhnlicher Freundlichkeit entgegen, indem es gegen Bezahlung Lebensmittel aus dem militärischen Lebensmittelmagazinen abgibt. Außerdem wurden für die ärmere Bevölkerung billige Volksküchen errichtet. Trotz der Belagerung stehen wir in ständiger Verbindung mit der Außenwelt. Unsere Fliegerhelden fliegen oft aus der Festung aus und führen zahlreiche Post mit. Die Stimmung in der Stadt ist durchaus gut. Wir haben in der belagerten Festung so viele Eindrücke, so viele historische Augenblicke miterlebt, die immer im Gedächtnis derer haften werden, die Zeugen dieser geschichtlichen Ereignisse waren.
Die wichtigeren Vorkommnisse in der Festung waren etwa folgende:
     5. November. Neuerliche Einschließung und Belagerung der Festung.
     In der ersten Hälfte des November beschädigte einer unserer Fliegeroffiziere zwei russische Flugzeuge.
     In der zweiten Hälfte des November unternahm die Besatzung wiederholt siegreiche Ausfälle.
     Am 1. Dezember erschienen russische Flugzeuge über der Stadt und versuchten Bomben abzuwerfen - wie bereits erwähnt, ohne Erfolg.
     In der zweiten Hälfte des Dezember fanden kleine siegreiche Gefechte rings um die Festung statt, wobei wir mehrere Maschinengewehre eroberten. Die Festung zeigt sich überaus tüchtig und alle Versuche der Russen, sie zu erobern, werden zunichte gemacht.
 

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

Schwere Verluste der Russen.

 
Berlin, 22. Februar. Die "Nationalzeitung" meldet von der russischen Grenze: Moskauer Blättern zufolge fanden äußerst heftige Kämpfe um Przemysl statt, an denen sich russischerseits auch Flugzeuge hervorragend beteiligten. Ganz besonders zustatten kommen den Verteidigern umfangreiche künstliche Hindernisse im Vorgelände, wie Flatterminen, Wolfsgruben, Drahthindernisse, spanische Reiter u.s.w. Bei dem letzen Sturm auf Stellungen der Besatzung hatten die Russen besonders schwere Verluste. Die schweren Festungsgeschütze der Oesterreicher hätten sehr gute Feuerwirkung erzielt.
 

 

26. Februar 1915

 

 

Die harte Nuß Przemysl.

 
Bukarest, 24. Februar. Nach den Berichten der rumänischen russophilen Blätter, welche die russischen Nachrichten abdrucken, befaßt sich die Moskauer, Kiewer und Petersburger Presse in der letzten Zeit wieder lebhaft mit der Festung Przemysl. Noch vor kurzem hieß es im Zusammenhang mit der "möglichen, vorläufigen strategischen Räumung" Galiziens und der Bukowina, daß die Eroberung dieses Bollwerks einen Rückzug vielleicht unnötig machen würde, da die Russen einen erstklassigen Stützpunkt errungen hätten. Man müsse daher alles daran setzen keine Opfer scheuen (Das ist wohl bisher ohnehin nicht geschehen! Anm.d.Red.), um Przemysl zu nehmen. Einige Tage später begrüßten vornehmlich die Moskauer Zeitungen den Entschluß der "genialen Obersten Armeeleitung", die Festung wieder zu "forcieren". Es hätten soeben sehr heftige Kämpfe stattgefunden, an denen sich auf russischer Seite auch Aeroplane beteiligten. "Die Besatzung verteidigte Przemysl aber außerordentlich zähe." Um die Mühen der Belagerungsarmee zu veranschaulichen, wurden dann die unzähligen "um das Festungsgebiet aufgeführten künstlichen Hindernisse (Explosionsfelder, Drahtverhaue, Woflsgruben und dergl.) geschildert. Die schwersten Verluste würden den russischen "Helden" aber durch die schwere österreichische Artillerie zugefügt, welche "im Gegensatze zur russischen wenig, jedoch nur wohlgezielte Schüsse abgebe."
      Bei einem Sturm auf die Festung habe dadurch die russische Infanterie "recht empfindliche Verluste" gehabt. Merkwürdig bescheiden lautete schon der russische am 21. Februar ausgegebene Bericht, welcher konstatierte, daß "die Besatzung zweimal Ausfälle versucht habe, die von den Russen tapfer zurückgeschlagen worden seien". Dies stimmte nun einige Berichterstatter nachdenklich und einer, ein Moskauer, warf die Frage auf, die sich nun auch unsere Russenfreunde stellen, ob die verschmitzten Oesterreicher die Ausfälle nicht deshalb mache, um möglichst viele feindliche Streitkräfte zu binden, "denn es kann der zur Sparsamkeit gezwungenen, unglücklichen (?) Festung doch nicht darum zu tun sein, Gefangene zu machen, die man ja verköstigen müßte". Jetzt wissen die armen russischen Berichterstatter nicht, ob man noch auf den "Stützpunkt" Przemysl reflektieren solle. Uns kann es trösten, daß die Oesterreicher über das, was sie zu tun haben, nicht im Zweifel sind.
 

 

 

Ein Situationsbericht über Przemysl.

 
"Az Est" meldet; "Morning Post" bringt über die Zustände in Przemysl einen Artikel, der von seinem ungarischen Korrespondenten stammt. In demselben heißt es, daß die Russen auch heute keine größere Tätigkeit entfalten als in den ersten Tagen der Belagerung. Die Festung hat genügend Lebensmittel. Die Bevölkerung wird vom Militär mit Lebensmitteln versehen. Das Geld hat in der Festung gar keinen Wert. Zweimal täglich bekommt die Bevölkerung umsonst Lebensmittel. In der Festung leben insgesamt 5600 russische Gefangene. Das Verhältnis zwischen den Gefangenen und den Festungsverteidigern ist gut. Die ungarischen Offiziere lernen von ihnen die russische Sprache.
 

 

28. Februar 1915

 

 

Der Belagerer von Przemysl verspricht - Selbstmord.

 
Die Londoner "Morningpost" läßt sich folgendes schreiben: Die russischen Streitkräfte um Przemysl werden von General Ratko Dimitriew kommandiert, von dem, wie ein aus Przemysl zurückgekehrter Flieger mitteilt, eine Geschichte in der Festung erzählt wird, die von russischen Gefangenen herstammt: daß er angeblich dem Kaiser Nikolaus das Versprechen gegeben habe, entweder die Festung am 1. März zu nehmen oder Selbstmord zu begehen. Die Garnison erwartet nun begierig diesen Tag. Russische Flieger warfen nicht bloß Bomben in die Stadt, sondern auch Proklamationen in polnischer und ungarischer Sprache, in welchen sie die Soldaten auffordern, den Gerüchten über die österreichischen Siege keinen Glauben zu schenken, da die Russen bereits die Karpathen passiert hätten und in Ungarn eingebrochen seien.
 

 
 
 

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