1. März 1915

 

 

Eine Kriegsfürsorgespende aus Przemysl.

 
Budapest, 28. Februar. "Budapesti Hirlap" verzeichnet heute einen erhebenden Beweis der begeisterten und aufopferungsvollen Stimmung der Przemysler Garnison. Wie das Blatt meldet, hat es mit der gestrigen Post aus Przemysl den Betrag von 864 Kronen 70 Hellern erhalten. Dieser Betrag setzt sich aus Spenden der Offiziere und der Mannschaftbataillons eines Honvedregiments zusammen und ist, wie aus einem gleichzeitig eingetroffenen Schreiben hervorgeht, für Witwen und Waisen gefallener ungarischer Soldaten bestimmt.
 

 

2. März 1915

 

 

Nachrichten aus Przemysl.

 
Wie uns aus Graz mitgeteilt wird, kam dem Direktor des dortigen Knabenseminars Professor Kraus aus Przemysl von seinem dort befindlichen Bruder dem Feldkuraten Kraus folgende interessante Fliegerpostkarte zu: " Przemysl. Wenn das Wetter für unsere wackeren Flieger nicht zu schlecht ist, wird diese Karte hoffentlich bald in Deinen Händen sein. Seid versichert, daß es mir hier so gut geht, wie ich es selbst nur wünschen kann. Ich könnte ganz fesselnde Geschichten erzählen, was draußen an Festungsgürtel geschieht, während ich schreibe. Wir sind hier voll der besten Hoffnung und frohen Mutes."
 

 

4. März 1915

 

 

Die Belagerung Przemysls.

 
Die mit Bewilligung des Festungskommandos erscheinende und dessen Zensur unterstehende "Ziemia przemyska" bringt Einzelheiten aus der Festungsstadt und den Umgebungsorten. Die allsonntäglich vor dem Rathause stattfindenden Militärkonzerte werden oft vom Donner der Festungsgeschütze begleitet. Einmal versuchte ein russischer Flieger, auf die Stadt Bomben zu werfen, wurde aber von unserer auf der Zniesienie-Anhöhe aufgestellten Batterie beschossen, so daß er unverrichteter Dinge schleunigst davon mußte. Ein anderesmal gab es einen Kampf mit einem feindlichen Piloten, der auf die Lemberger Vorstadt eine Bombe abwarf, die jedoch keinerlei Schaden verursachte; der Festungsaeroplan verfolgte ihn und gleichzeitig wurde er von unten beschossen, beschädigt und zur Flucht gezwungen.
Trotz der bald vier Monate währenden Belagerung hat man nicht den Eindruck, in einer eingeschlossenen Festung zu leben: das Leben und der Verkehr ist normal, wie anderswo: Dilettantenvorstellungen, Wohltätigkeitskonzerte, Kaffeehäuser, Bummel usw. sorgen für reichliche Abwechslung wie in Friedenszeiten. Die Besatzung und die Zivilbevölkerung - letztere immerhin noch etwa 15.000 Personen zählend, lebt in der Gewißheit, daß es dem Feinde nicht gelingen kann, die Festung im Sturm zu nehmen, eine Aushungerung ist völlig ausgeschlossen, selbst wenn die Belagerung ein ganzes Jahr dauern sollte, eine dritte Möglichkeit, durch unterirdische Minenlegung die Festung zu nehmen, ist einfach undenkbar, weil hiezu sehr viel Zeit nötig wäre, und schließlich gibt es in der Festung selbst eine ganze Reihe von Hindernissen, an denen sich die Russen gelegentlich des ersten Sturmversuches die Köpfe blutig geschlagen haben. Die hie und da auftauchenden russischen Gerüchte über eine angebliche Hungersnot in der Festung gehören in das Reich der Fabel; die Militärmagazine sind reichlich vollgeladen mit Lebensmittelartikeln, die auch an die ärmere Bevölkerung gegen mäßige Geldzahlung abgegeben werden, im übrigen wurden für das arme Volk billige Küchen errichtet. Volks-, Bürger- und Mittelschulen funktionieren normal. Die Stimmung der Zivilbevölkerung und der Besatzungstruppen ist ausgezeichnet. Die Truppen unternehmen des öfteren Ausfälle in die Umgebung und kehren stets mit einer Beute an Gefangenen und Kriegsmaterial heim.
 

 

7. März 1915

 

 

Wie man in Przemysl lebt.

 

Wie im Frieden.

 
"Nowiny Wiedenskie" veröffentlichen eine Korrespodenzkarte, welche der Architekt Herr Kasimir Osinski am 20. Jänner l.J. seinem in Wien lebenden Bruder geschrieben hat. Die Karte wurde dem Adressaten in Wien am 10. Februar zugestellt. Die Mitteilung lautet: "Den Brief und die Korrespondenzkarten haben wir erhalten. Wir danken Dir herzlich für den Wunsch, daß wir die Belagerung standhaft aushalten. Wir erfreuen uns alle der besten Gesundheit. Nach einigen Monaten der Belagerung spielt sich alles in unserer Stadt normalmäßig ab. Man hat das polnische Gymnasium in dem Gerichtsgebäude in der Wasserstraße und die Mädchenschule in dem Bendiktinerinnenkloster wieder eröffnet. Das Blatt "Ziemia Przemyska" erscheint jetzt in 4000 Exemplaren. Zu den eifrigsten Lesern gehören die Soldaten. Ich bin der Redaktionssekretär und der Bischof Fischer führt über das Blatt die Oberaufsicht. Der Magistrat liefert der Bevölkerung Kohlen, Petroleum, Salz und Mehl. Das Holz erhält die Zivilbevölkerung umsonst aus den Wäldern der Fürsten Sapieha. Die Festungskommandatur verkauft der Zivilbevölkerung die Proviantmittel. Gott sei Dank haben wir keine Epidemien und die Leute leben gemütlich weiter."
 

 

9. März 1915

 

 

Die Post von Przemysl.

 
     In den "Leibz.Neust.Nachrichten" schreibt M.Nicolai: Vor einiger Zeit war es, irgendwo im östlicheren Teile der österreichisch-ungarischen Monarchie, als sich mit Gelegenheit bot, folgende kleine Episode zu erleben - eine echte Kriegsepisode, die da mahnt an die vielen Helden, die da in Stille und unbeachtet von der Menge den harten Weg einer eisernen Pflichterfüllung gehen, die da dem Tode in seiner schrecklichsten Gestalt wohl hundertmal kühn in Auge sehen und deren Brust dennoch kein Eisernes Kreuz, keine silbernen, noch goldene Medaille schmückt . . . denn sie tun ihre Pflicht eben abseits, fern der Menge!
Wir stehen - einige militärischche Freunde und ich - plaudernd auf der aviatischen Station umher. Tiefe Stille ringsum, nichts regt sich. Da plötzlich wird gemeldet, daß ein Aeroplan in Sicht kommt . . . ruhig, ohne jede Aufregung kommt die Meldung, und ruhig, gelassen möchte ich fast sagen, trifft man die Vorbereitungen zum Empfang des Vogels - sie er Freund, was in dieser Gegend das Wahrscheinlichere ist, oder sei er Feind, was schließlich heutzutage auch nicht unmöglich wäre, - man ist zum Empfang gerüstet! Srrrrr, surrrrr, surrrr, surrrrrr . . . schon hört man ganz deutlich den Propeller arbeiten und nun weiß man es natürlich auch schon, daß es einer von den "Unsrigen" ist, der da majestätisch und ebenso gelassen wie die da unten, die auf ihn warten, heranstreicht. Stärker und stärker wird das Geräusch des Motors, Flaggenzeichen - und nun geht er in raschem, elegantem Sturzfluge ziemlich senkrecht herab - wenigstens sieht es so aus! - um dann, in einen Gleitflug übergehend, ganz militärisch pünktlich zu landen, als ob es nichts weiter wäre, als ein Boot am richtigen Steg zu landen. Auf die Meldung vom Nahen es Aeroplans ist der Stationskommandant inzwischen erschienen. Das Landungsmanöver ist beendet und vom Sitz der Maschine schwingt sich der junge Aviaktiker, tritt auf den Kommandanten zu, salutiert stramm und: "Herr Oberst, melde gehorsamst - die Post aus Przemysl!" - Ruhig, fest ertönt die unter atemloser Stille weithin vernehmbare Meldung - ruhig und kühl, dienstlich dankt der Kommandant - damit ist der dienstliche Teil erledigt und nun tritt der Alte mit dem goldenen Kragen, mit dem grauen Haar und dem jugendlich hellblitzenden Auge auf den Jungen zu, faßt ihn mit beiden Händen und schüttelt sie warm. "Grüß´dich Gott, mein Junge, ihm sei Dank, daß er dich glücklich wieder einmal hergeleitet hat!" Und über des Jungen ernstes Gesicht gleitete ein Freudenschimmer - fühlt er doch in diesem Moment, daß der Alte da vor ihm zu ermessen weiß, was hinter ihm liegt und was ihm morgen, übermorgen wieder bevorsteht. Der Alte da vor ihm ist sein künftiger Schwiegervater - so es eine höhere Macht nicht anders beschlossen hat, wird das junge Mädchen, das da wohl bleich und zitternd, aber freudigen Herzens den Riesenvogel heranschweben sah, seine Frau sein, wenn - wenn Przemysl den aviatischen Postillon und das Vaterland den Offizier nicht mehr alltäglich in Lebensgefahr senden muß. Und in der Tat, welche stille, von gar wenigen erkannte und von noch wenigeren beachtete Heldengröße umfaßt die Meldung: "Die Post aus Przemysl!" Welche Fülle von Gefahr, welch hundertfaches Verachten des Todes in jeder Gestalt liegt darin! Und solcher stiller Helden der erhebenden, eisernen Pflichterfüllung gibt es nicht etwa einen, nein, das hübsche junge Blut da drüben hat gar manchen tapferen Kameraden, der, so wie er, den gefahrvollen Weg zu jeder Stunde zu unternehmen bereit ist, trotzend dem grimmigen Belagerer, der, mit allen nur erdenklichen Mitteln ihm nachstellend, und oft mit einer geradezu lächerlichen Wut den Vogel aus dem umstellten Nest emporschweben und stolz den Weg nach Westen richten sieht, und trotzend der hundertfachen Fährnisse, die den fliegenden Menschen bedrohen, auch abgesehen von der Kugel des wütenden Feindes. Und man denke sich nun hinein, was es - ganz abgesehen von der militärischen, unermeßlichen Wichtigkeit dieses Dienstes - für die armen Angehörigen der tapferen, nun den Russen seit drei Monaten aufs neue widerstehenden Besatzung der Festung Przemysl bedeutet: "Die Post aus Przemysl! Lange, lange haben sie nichts gehört vom Vater, vom Gatten und Bruder, denn man war ganz abgeschnitten.
     Bis die erste Post durch die Lüfte geeilt kam, um Kunde zu bringen, wie es ihnen da drinnen geht! Und sie sprechen alle mit einer herrlichen Zuversicht und einem fröhlichen Gottvertrauen und einem erhebenden Vertrauen in dem Erfolg unserer Waffen und den Sieg unserer guten und gerechten Sache! Ich nehme aus der Hand von Bekannten einige dieser Karten, denn nur Karten gibt es, um möglichst viel Nachrichten bequem befördern zu können. Es ist ein dünnes Blatt gelbes Papiers in Größe einer gewöhnlichen Postkarte, mit dem üblichen Aufdruck aller österreichischen Feldpostkarten. Darüber aber ist dick und in großen Buchstaben schwarz gestempelt zu lesen: "Fliegerpost, Przemysl, Jänner 1915", darunter in roter Farbe der Stempel "Zensuriert", links die fünfstellige Zahl, die wohl die Nummer des soundsovielten auf diese Weise beförderten Poststückes bedeutet - sonst nichts Besonderes.
     Aber der Inhalt der Karten ist noch heute der gleicht, wie vor sechs Wochen, als die ersten Karten durch die Luft zu uns geflattert kamen: Eine helle Begeisterung für unsere gute und gerechte Sache, ein festes Gottvertrauen und dabei eine kampfesfrohe Stimmung sprechen daraus. Einer schreibt: "Ich war leicht verwundet, aber diese Woche soll ich schon wieder ausgehen dürfen, und das wird Zeit, denn wenn unsere braven Brüder draußen die Russen hauen, daß sie das Rennen kriegen, dann will ich nicht hier, vom Glacis aus, ihnen zuschauen müssen, sondern dann will ich ihnen - wie alle meine Kameraden hier - kräftig abzahlen, was ich ihnen schuldig bin!" - Gott sei mit ihnen, mit diesen braven Jungen und ihrem tapferen Kommandanten, und er gebe, daß sie den Russen gegenüber bald abzahlen können, was sie ihnen schuldig sind!
     Und da draußen summt wieder der Motor - wieder eine Meldung, stramm dienstlich: "Herr Oberst, melde gehorsamst, - Die Post nach Przemysl!" - Ein Händeschütteln, ein letzter Gruß - "Mit Gott, mein Junge - und auf Wiedersehen!" - und langsam entschwebt der Vogel - neuer Gefahr entgegen.
 

 

11. März 1915

 

 

Przemysl und Deutschland.

 
Unser Nürnberger Parteiblatt, die "Fränkische Tagespost", brachte am Samstag diesen auch für uns lesenswerten Artikel:
"Vier Monate sind es heute, daß die starke Festung Przemysl von den Russen belagert wird. Zum zweitenmale in diesem Krieg stehen russische Armeen im weiten Umkreise um diese Festung, die eine der ausgedehntesten und mit modernsten Hilfsmitteln versehene Verteidigungsstellung sein soll. Viele russische Truppen haben sich in den Kämpfen vor Przemysl verblutet. In respektvoller Entfernung, außerhalb des Bereiches der großen Fetsungsgeschütze der Przemysler Forts umgeben nun große russische Heereskörper diese Festung. Sie verhinderten bisher den Durchbruch und die Aufrollung der Belagerungsarmee. Sie greifen die Festung an durch die Umschließung, sie stehen aber in einer täglichen Verteidigungsstellung. Nach den ungeheuren russischen Verlusten im Anrennen gegen diese große Festung beschränken sich die russischen Truppenkörper Przemysl von jedem Verkehr mit der Außenwelt abzuschließen. Freilich vollständig gelingt das nicht. Eine fast regelmäßige Flugpost vermittelt Nachrichten aus der Festung mit den Armeeleitungen, wie mit den Angehörigen der Eingeschlossenen. Drahtlose Telegraphie läßt eine regelmäßige Berichterstattung über den Stand der Festung zu. Nach den Nachrichten in österreichischen Zeitungen soll die Stimmung in der Festung heiter und siegessicher sein, Truppen und Einwohner sollen darauf vertrauen, daß sie bald von dne Freunden entsetzt werden, so daß auch vor Przemysl die Russen zur Rückwärtsbewegung gezwungen werden. Aber selbst wenn dies, was man bestimmt erhofft, nicht eintreten sollte, so soll Przemysl dem Feinde nicht in die Hände fallen. Im Kampfe soll es nicht zu überwinden sein, denn die Kriegsmittel der Deutschen und Oesterreicher, die Antwerpen zu Falle brachten, sollen den Russen fehlen. Die Russen haben so schlechte Erfahrungen mit dem Ansturm gegen diese große Festung gemacht, daß sie nicht mehr hoffen, sie mit den Waffen zu besiegen, sie wollen sie aushungern. Sie wollen den Hunger als Bundesgenossen, da das Geschick der Waffen ihnen in 120 Tagen der Belagerung keinen Erfolg gebracht hat. Eine vorsorgliche Heeresverwaltung wird wohl nichts unterlassen haben, um Przemysl so reichlich mit Nahrungsmitteln zu versorgen, daß der Fein auch während des langwierigen Krieges wohl jede Zufuhr abschneiden und doch die Stadt nicht durch Hunger zur Uebergabe zwingen kann.
     In Friedenszeiten hat Prezemysl nur etwas über 54.000 Einwohner. In Anbetracht der drohenden Belagerung dürfte die österreichisch-ungarische Heeresverwaltung vermutlich alle für die Kriegsführung nicht notwendigen Personen, also Frauen und Kinder und eine große Zahl der Männer, zur Abwanderung für die Kriegszeit veranlaßt haben, so daß nur eine geringe Zahl der in Przemysl sonst wohnenden Leute nun in der Stadt weilen dürfte. Man wird nur die Leute, vor allem die Soldaten dort gelassen haben, die für die Kriegsführung, für die Verteidigung der Stadt notwendig sind. Jede Frau, jedes Kind, jeder überflüssige Mann in einer belagerten Festung ist natürlich von Uebel. Je weniger Esser in einer Festung bleiben, desto länger wird sich die Stadt halten, desto sicherer wird sie auch ohne Entsetzung und ohne Zufuhr von auswärts mit den Nahrungsmitteln auskommen, desto eher wird sie den Ruf der Uneinnehmbarkeit bewahren und den Belagerern statt Erfolg Enttäuschung bringen. Alle, die die Niederlage Rußlands wünschen, werden der Verteidigung von Przemysl mit der lebhaftesten Teilnahme folgen und werden den Eingeschlossenen Opfermut wünschen, wenn einmal die Nahrungsmittel in der Festung knapp werden sollten.
 

 

 

Przemysl.

 
Die böswilligen Gerüchte über die heldenhafte Festung, die in letzter Zeit immer wieder auftauchen, werden am besten durch folgende Nachricht der amtlichen Petersburger Telegraphenagentur widerlegt:
Petersburg, 8. März. Die Besatzung von Przemysl unternimmt keine Ausfälle mehr, aber die Artillerie der Festung entwickelt sehr große Tätigkeit und sendet uns eine große Menge Granaten schweren Kalibers. Immerhin ist dieses Feuer vollkommen unschädlich. Oesterreicher richteten ein äußerst heftiges Feuer gegen unsere Flugzeuge, welche die Festung fast ständig überfliegen. Viele Schrapnells in der Luft, ohne unsere Flugzeuge zu treffen. Am 5. März schossen wir beim Bahnhof von Kokolka einen deutschen "Albatros" herunter und machten die beiden Flieger zu Gefangenen.
Das wohlunterrichtete "St. Galler Tagblatt" sagt in einer Besprechung der Lage im Osten: Die Petersburger Telegraphagentur wäre gut beraten, wenn sie den Namen Przemysl möglichst wenig gebrauchen würde, da die nutzlose Belagerung dieser Festung kaum zu den Ruhmestaten der russischen Armee gerechnet werden dar.
 

 

12. März 1915

 

 

Meldungen aus Przemysl.

 
A. Budapest, 11.März (Priv.) Wie der Kriegskorrespondent der "Pesti Hirlap" meldet, kann festgestellt werden, daß die Russen allen entbehrlichen Kräfte, auch Teile der Przemysl einschließenden Truppen, nach den Karpathen schicken. Ein Fliegeroffizier, der in den letzen Tagen in Przemysl weilte, berichtet, die Stimmung in der Festung sei sehr gut. Die Besatzung bekommt reichliche, normale Portionen. Besonders gut funktioniere der Sanitätsdienst. Ansteckende Krankheiten bleiben unter dem normalen Stand. Unsere Truppen beunruhigen durch forwährende Ausfälle die Belagerungsarmee. Infolgedessen ziehen die Russen ihre Stellungen immer weiter von den Festungserken.
 

 

13. März 1915

 

 

Przemysl.

 

Der militärische Mitarbeiter der "Morning Post" gibt seinem Erstaunen über die lange Belagerungsdauer Przemysl Ausdruck. Sie falle besonders auf in Anbetracht der schnellen Uebergabe belgischer und französischer Festungen, die durch die schweren deutschen Geschütze bewirkt wurde. Vor Przemysl sind mindestens 2 Armeekorps, mehrere Kavalleriedivisionen, sowie ein Teil schwerer Artillerie festgelegt. Das Belagerungsende ist noch nicht abzusehen, da genügende Vorräte für weitere 3 Monate vorhanden sind und die Garnison guten Mutes ist.

 

 

14. März 1915

 
 

Die Lage in Przemysl.

 
Hierüber meldet der Kriegsberichterstatter der "N.Fr.Pr.": Sofort bei Beginn der zweiten Einschließung von Przemysl ordnete G.d.I.v.Kusmanek eine genaue Einteilung der Verpflegsvorräte an und setzte die Rationen an Brot und Konserven fest. Der Festungskommandant sieht im Angesichte einer Belagerung streng darauf, daß nur Bürger innerhalb des Rayons verbleiben, die über genügende Nahrungsvorräte verfügen. Es kann allen Durchsuchungen zum Trotz immerhin geschehen, daß sich einer oder der andere Einwohner verbirgt, um erst, wenn seine Abschiebunb nicht mehr erfolgen kann, wieder aufzutauchen. Die unnützen Esser haben keinen Anspruch auf Unterhalt und werden gwiß Mangel leiden. Es kann ferner vorkommen, daß zu Beginn der Zernierung Arbeiterabteilungen den Anschluß an die Nachhut der Feldarmee versäumen und vom herannahenden Feind in die Festung zurückgetrieben werden; sie beschweren dann mit ihrem Stand an Mann und Pferden die Verpflegung des Platzes.
Etwas Aehnliches scheint in Przemysl passiert zu sein. Die Festung hatte eine Anzahl von überzähligen Pferden in ihren Mauern. Hafer war in Menge da, mit Heu und Stroh aber hieß es haushalten. Daher entschloß man sich schon im Dezember, kurzerhand die übezähligen Pferde zu beseitigen. Die Russen erfuhren es auf irgendwelchem Weg, mißdeuteten die Maßregel - vielleicht absichtlich - und so entstand in der Mannschaft des Belagerers das Gerückt, die Besatzung wäre auf Pferdefleisch angewiesen. Patrouillen, die in Fühlung mit dem Gegner traten, wurden voh ihm mit höhnischem Gewieher begrüßt. Für diesen Schabernack rächte sich der Verteidiger auf seine Weise.
Die Besatzung eines Forts legte eine Scheinbatterie mit Böllern an und hinter ihr eine Art Feldbahn. Sie vergnügte sich damit, während die echte Batterie nebenan wirklich schoß, auf den Schienen mittels Drähten einen primitiven Wagen Wagen hin und her zu ziehen. Der Wagen trug die ausgestopfte bewegliche Figur eines Batteriekommandanten, den "Hauptmann Daschautsher." Die Russen ärgerten sich nicht wenig über den Offizier, der da so herausfordernd vor ihnen agierte und von Zeit zu Zeit das Binokel an die Augen nahm. Hunderte von Schüssen richteten sich auf ihn und als ein Volltreffer ihm endlich die Schulter ausgerissen hatte, veranstaltet die Besatzung des Forts eine Trauerfeier. Erfahrene Chirurgen heilten aber den Batteriekommandanten und er hat sich noch gar manchesmal kühn den feindlichen Granaten ausgesetzt.
Ein anderer Spaß ist noch viel toller. Hatten da ein paar Landstürmer ein übergroßes Skelett aus Holz geschnitzt, weiß angestrichen und nachts irgendwo im Vorfeld aufgestellt, den Russen gerade gegenüber. Wenn der Feind seine Scheinwerfer spielen ließ, hob das Skelett, durch einen Draht bewegt, abwehrend seinen Arm. Bei Tage legte man es nieder, um es in der nächsten Nacht wieder erscheinen zu lassen. Das Gespenst hat die abergläubigen Russen eine zeitlang sehr geschreckt.
In der Festung zeigte sich bald ein Mangel an Sohlenleder. Man half sich, indem man die Häute der geschlachteten Pferde in einer militärischen Gerberei verarbeitete. Leiter der Fabrik ist der Indendant Ludwig Szuhanyi, die Chemikalien wurden von Fliegern herangebracht. Man bereitet auch Schneestiefel im großen, Schuhcreme, Zahncreme und Seife; alle diese Gegenstände in tadelloser Güte. Nur die Zündhölzer der Geniedirektion entsprechen nicht den Erwartungen. Jede Schachte trägt die Aufschrift: "Mit Vorsicht behandeln! Reibfläche schonen! Festungszünder 1915!" Die Hölzchen flackern mit einer kleinen Explosion auf und spritzen wie Raketen.
Unendlich kostbar ist die Milch. Es gibt nur wenig Kühe, die Milch ist für die Kranken bestimmt, für Gesunde fast unerlangbar. In den Cafes, vor allem im elegantesten, dem Café Stieber, wogt das Leben. Da der Fein so selten angreift, ist der Großteil der Offiziere fast unbeschäftigt und verbringt seine Zeit mit Billard und Schach. Die Billardtische sind bis zur Unbrauchbarkeit abgenützt. Man trinkt Tee mit Rum, schwarzen Kaffe mit kondensierter Milch und erhält zu jeder Tasse drei kleine Stückchen Zucker. Eine zweite Tasse zu reichen, verbietet die Verordnung des Platzkommandos. Wer mit seinem Zucker nicht auskommt, muß warten, bis enthaltsamere Kameraden eintreten und einem ihre Zuckergebühr überlassen.
Die Offiziere sparten einen großen Fonds, an die dreißigtausend Kronen, für die Flieger zusammen. Sind die Flieger doch wahre Himmelsboten für die Besatzung; sie bringen Zeitungen und mündliche Nachrichten herein; ohne sie wäre man auf die kargen, drahtlosen Telegramme angewiesen. Die Radiostation verkehrt allerdings mit Nauen, mit Krakau, Wien, überhaupt mit allen deutschen und österreichisch-ungarischen Antennen. Auch sie verdankt ihr Dasein insofern den Fliegern, als diese Ersatz herbeitrugen, so oft ein Maschinenstück der drahtlosen Station entzwei ging. Privatbriefe nach Przemysl können die Flieger freilich nicht bestellen, sie haben auszuklären und ansonsten untentbehrliche Bedarfsgegenstände in die Festung zu befördern. Einmal brachten sie zum Beispiel zwanzig Kilogramm Sacharin, Kohlenstifte für Scheinwerfer, ein anderes Mal Kokain.
 

 

16. März 1915

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

Eine russische Meldung.

 
Budapest, 15. März. (Privattelegramm des "Neuen Wiener Journals".) "Az Est" meldet aus Petersburg: Die Petersburger Telegraphenagentur gibt bekannt, daß die Przemysler Besatzungsarmee jetzt keine Ausfälle gegen die Belagerungsarmee unternimmt. Um so größere Rührigkeit entfaltet die Festungsartillerie. Die schweren Batterien beschießen intensiv die russischen Stellungen. Ueber Przemysl fliegen auch jetzt ständig die Aeroplane.
 

 

17. März 1915

 

 

Wie steht es um Przemysl?

(Eigenbericht der "Reichspost")

 
Budapest, 16. März.
 
     Der Berichterstatter des "Pesti Naplo" meldet seinem Blatte unterm 15.d.: Die Russen verhalten sich - von zeitweisen Kanonaden abgesehen - passiv. Ihre Zernierungslinien sind nicht vorgedrungen. Die Artillerie unserer Befestigungswerke ist unablässig an der Arbeit und beschießt die feindlichen Stellungen heftig.
     Die Fliegerpost arbeitet regelmäßig. Wenn unsere Piloten nicht durch unsichtiges Wetter behindert werden, bringen sie den fernen Lieben unserer Soldaten pünktlich deren Grüße. - Die russischen Meldungen bestätigen, daß einer ihrer Flieger, der Bomben abwarf, von der Artillerie eines unserer Festungswerke zum Niedergehen gezwungen und gefangengenommen wurde.
 

 

19. März 1915

 

 

Die Verteidigung von Przemysl.

 
Berlin, 18. März. (Privat.) Von der russischen Grenze wird der Berliner "Nationalzeitung" geschrieben: Die Militärkritiker der Moskauer Blätter befassen sich mit der Haltung von Przemysl. Sie betonen, daß seit einiger Zeit größere Unternehmungen gegen die Festungswerke von russischer Seite nicht unternommen worden sind. Vereinzelte Ausfälle der Besatzung seien zurückgeschlagen worden. Im übrigen beschränkten sich die Unternehmungen auf Artilleriekämpfe und langwierige Sappeurarbeiten. Allem Anschein nach will die russische Heeresleitung, um schwere Verluste zu verhüten, von entscheidenden Angriffen gegen die Festung bis auf weiteres absehen, sie vielmehr durch Hunger zur Uebergabe zwingen. Die Kritiker warnen vor der Auffassung, daß die moderne und äußerst geschickt verteidigte Festung bald in die Hände der Russen fallen könnte. Die Schicksal Przemysls dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach auf den anderen Kriegsschauplätzen entschieden werden. Es sei anzunehmen, daß die großen Vorräte an Lebensmitteln und Munition in der Festung stark abgenommen haben, aber trotzdem müsse noch mit einem längeren Widerstand der Festung gerechnet werden.
 

 

21. März 1915

 

 

Ein Ausfall aus Przemysl.

 
     Im Mittelpunkte der Ereignisse an der gesamten Kampffront stand gestern ein Ausfallsversuch der sich heroisch haltenden Besatzung von Przemysl. Es hatte den Anschein, daß die Russen, die ihre Stellungen um die Festung verschanzt haben, in der Gegend von Grodek geschwächt seien.
      Ein längs der Grodeker Straße unternommener Vorstoß führte zu einem siebenstündigen Kampfe,wobei sich die zahlenmäßige Ueberlegenheit des Gegners erwies. Nach dieser Feststellung zogen sich unsere Truppen, denen der Feind immer neue Massen entgegengeworfen hatte, in die Festung zurück.
 

 

 

Verluste der Russen vor Przemysl.

 
     Stockholm, 20. März. Aus Petersburg wird ein offizielles russisches Kommunique mitgeteilt, das besagt, daß vor Przemysl die Festungsartillerie fortfährt, die russischen Stellungen zu beschießen. Tausende von Granaten fliegen herum, die Verluste der Russen seien ziemlich bedeutend.
 

 

22. März 1915

 

 

 
     Amtlich wird verlautbart:
     Nach viermonatlicher Einschließung am Ende ihrer Kraft angelangt, ist die Festung Przemysl am 22. März in Ehren gefallen.
   Als die Verpflegsvorräte Mitte dieses Monats knapp zu werden begannen, entschloß sich G.d.I.v.Kusmanek zum letzten Angriff. Die Ausfallstruppen brachen am 19.d.M. zeitlich morgens über die Gürtellinie vor und hielten in siebenstündigem Gefecht gegen starke russische Kräfte bis zum Aeusersten stand. Schließlich zwang die Ueberlegenheit der Zahl zum Zurückgehen hinter die Gürtellinie. In den folgenden Nächten gingen die Russen gegen mehrere Fronten von Przemysl vor. Diese Angriffe brachen gleich allen früheren in dem Feuer der tapfer verteidigten Befestigungen zusammen.
     Da nach dem Ausfall am 19.d.M. auch die äußerste Beschränkung in der Verpflegsration nur mehr einen dreitägigen Widerstand gestattete, hatte der Festungskommandant mittlerweile den Befehl erhalten, nach Ablauf dieser Frist und nach Vernichtung des Kriegsmaterials dem Platz dem Feinde zu überlassen. Wie ein Flieger der Festung meldete, gelang es tatsächlich, die Forts samt Geschützen, Munition und befestigten Anlagen rechtzeitig zu zerstören. Dem opfermutigen Ausharren und dem letzen Kampf der Besatzung gebührt nicht minderes Lob als ihrer Tapferkeit in den früheren Stürmen und Gefechten. Diese Anerkennung wird auch der Feind den Helden von Przemysl nicht versagen.
     Der Fall der Festung mit dem die Heeresleitung seit längerer Zeit rechnen mußte, hat keinen Einfluß auf die Lage im großen. Bei der Feldarmee dauern die Kämpfe im Karpathenabschnitt vom Uzsoker Paß bis zum Sattel von Konieczna an.
 

      Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes: v.Höfer, Feldmarschalleutnant.

 

 

 

Der Ausfall er Besatzung von Przemysl.

Die russische Belagerungsarmee - 150.000 Mann.

 
Graz, 21.März. (Privattelegramm des "Neuen Wiener Journals".) Die "Grazer Tagespost" meldet: Gestern rückte ein Teil der Besatzung über die Ostfront in Richtung Medyka zum Angriff vor. Die Russen haben Przemysl bekanntlich mit einem stark befestigten Ring umgeben. Schätzungsweise zählt das feindliche Belagerungskorps über 150.000 Mann. Die Ausfallstruppen trafen daher alsbald auf starke feindliche Kräfte und es entwickelte sich ein mehrstündiger Kampf, in den wohl auch die schweren Geschütze unserer Ostfront wirkungsvoll einzugreifen vermochten.
 

 

23. März 1915

 

 

Przemysl.

Die Festung Przemysl ist gefallen.

 
So hoch das Gefühl die zähe Widerstandskraft der Besatzung, die ausdauernde, im heißesten Ringen siegreiche Abwehr der blutigen Oktoberangriffe, das ausharrende Durchhalten in den vielen Monaten der zweiten Einschließung bewertet hat, so muß es auch ergriffen werden von dem Verlust. Es sind viele und weitberühmte Festungen in diesem Kriege gefallen, darunter solche, die wie Antwerpen den Ruf einer weit größeren Festigkeit hatten. Alle sanken sie nieder, alle, Lüttich, Namur, Antwerpen, Maubeuge und die schwächeren Lille, Givet, Manonvillier, sanken dahin unter dem zerstörenden Belagerungsfeuer, wenige Wochen, oft nur wenige Tage nach dem begonnenen Angriff. Oder sie entwaffneten sich gar wie Peronne, Laon und andere, bevor sich noch der Feind ihren Wallgräben genähert hatte. Przemysl allein hat der Geschichte des Festungskrieges ein neues Blatt des Ruhmes eingefügt. Seit dem 11. November zum zweitenmal eingeschlossen und weit getrennt von aller Unterstützung, hielt es dem brandenden Meere der russischen Masse stand, unbezwungen, bis es der Hunger bezwang.
Die gefühlsmäßige Wertung, um es zu wiederholen, waltet vor und muß vorwalten. Wer mit ganzem Herzen an dem Kampfe hängt, der gegen die zaristischen Bedränger unserer Kultur geführt wird, der muß mit Leid und Schmerz vernehmen, daß das berühmte Bollwerk an dem San nun in den Händen des Feindes ist. Mit Weh muß ihn ergreifen der Gedanke an den Jubel, der, den Erfolg übertreibend und ins äußerste steigernd, durch die Länder des Dreiverbandes schallen wird, um so lauter, als die monatelang fortdauernde Erfolglosigkeit der Angriffe in den Karpathen, in Ostpreußen und Nordfrankreich und in den letzten Tagen der beispiellose Erfolg der deutschen Kriegsanleihe und die schwere Schlappe der verbündeten Flotte vor den Dardanellen das Siegesgefühl des auf seine Uebermacht pochenden Länderverteilungssyndikats sehr beträchtlich herabgestimmt haben.

Andererseits aber gebietet die Pflicht der Wahrheit und Erkenntnis, die strategische Wichtigkeit und das mögliche Maß der materiellen Rückwirkungen des Ereignisses auf den Kriegsverlauf in seinen wirklichen Grenzen zu zeigen - natürlich immer mit dem Vorbehalt, der allen solchen Untersuchungen und Darlegungen, die in unmittelbarer Gegenwart des Geschehnisses und in unzureichender Kenntnis seiner Umstände unternommen werden müssen, anhaftet. Für das Denken der Allgemeinheit bildet der Fall von Festungen stets einen markanten Höhepunkt des Kriegsverlaufes. Es ist eine in sich abgeschlossene, deutlich begrenzte und durchaus eindeutige Begebenheit und von der Vergangenheit her, da Jahrhunderte hindurch die Kriege sich großenteils um die Belagerung und Verteidigung fester Plätze drehten, hängt daran der Schein entscheidender Größe. Nun hat allerdings dieser Krieg Festungen wie Kartenhäuser fallen sehen. Er hat sogar das Erlebnis geboten, daß Antwerpen, die zweitgrößte Festung Europas, von einer geringeren Macht eingenommen wurde, als zu ihrer Verteidigung zu Gebote stand. Daraus folgerte zunächst unter dem ersten Eindruck dieser Triumphe unserer Motorbatterien und der deutschen 42 Zentimeter-Haubitzen der rasche Schluß, die Wertlosigkeit der Festungen. Später aber senkte die scheinbare Undurchbrechbarkeit der lothringischen Front Frankreichs und der hohe Wert, den die Weichselfestungen für die Operationen der Russen in Polen offenbarten, die Wagschale der Meinung nach der entgegengesetzten Richtung.
Es ist sonach ersichtlich, daß sehr verschiedene Umstände für die Bewertung eines befestigten Platzes in Frage kommen. Für die Bedeutung Przemysls galt die landläufige Formel, daß es, in den Vorbergen der schwer zugänglichen Karpathen gelegen, flankierend jeden aus den Ebenen des Ostens gegen Europa vorbrechenden Feind bedrohe und zugleich den Uebergang über den militärisch hochwichtigen San beherrsche. Unter diesen Gesichtspunkten wurde auch das ausgedehnte befestigte Lager angelegt. Wir möchten uns gleichwohl das Urteil erlauben, daß Przemysl im Verlauf dieses Krieges doch nur mehr eine episodenhafte Rolle gespielt hat - freilich in einer glänzenden und ruhmvollen Episode - und daß darum, abgesehen von etwaigen nicht zu erkennenden Nebenumständen, auch sein Verlust strategisch, daß heißt für den Verlauf der weiteren Operationen, von keiner hervorragenden Bedeutung sein kann. Es ist unmöglich, auf dem begrenzten Raume, der hier zur Verfügung steht, alle zu Beantwortung dieser Frage erforderlichen Tatsachen und Beweisgründe herauszuheben und den Beweisgang dann durch die Betrachtung des Ablaufes der kriegerischen Ereignisse in Galizien zu beleuchten. Wir können nur einzelnes herausgreifen. Nach der Lemberger Schlacht wurde bekanntlich die österreichisch-ungarische Hauptarmee in eine Aufnahmestellung zurückgenommen, deren linker Flügel sich auf Karakau, deren rechter sich auf Przemysl stützte. In dieser Stellung wartete man das Heranrücken von Verstärkungen ab. In dieser Stellung aber hatte auch Przemysl den höchsten strategischen Wert, den eine Festung gewinnen kann; es diente als Flügelanlehnung. Und die Flügelanlehnung an eine Festung ist, wie Clausewitz und die Geschichte lehren, meist noch sicherer als die an einen See oder an ein Gebirge oder sonst an natürliche Hindernisse. Allein die allgemeine strategische Lage, die damals und auch bei späteren Bewegungen vornehmlich durch die Vorgänge auf dem Hauptkriegsschauplatz im Osten, in Kongreßpolen, bestimmt wurde, nötigte unsere Heeresleitung, den rechten Flügel gleichfalls nach Westgalizien hinüber zu nehmen und Przemysl seinem Schicksal zu überlassen. Von da ab, und mit kurzer Unterbrechung bis zum Falle der Festung, stand sie außerhalb des Zusammenhanges der Operationen, die sich in einer Entfernung westlich und südlich von Przemysl abspielten, die stark über die äußerste Reichweite hinaus gingen, die dem Einfluß einer Festung auf die Umgebung allenfalls gegeben ist. Freilich hat ein fester Platz im Rücken des feindlichen Heeres immerhin noch dadurch eine sehr beträchtliche Bedeutung, daß er starke Kräfte zu seiner Beobachtung oder Belagerung auf sich zieht und wichtige Verbindungs- und dadurch Zufuhrlinien in dem vom Gegner durchmessenen Raume gefährlich unterbricht. Durch Przemysl läuft ja die Bahn von Krakau nach Lemberg und kreuzt sich dort mit einer der aus den Karpathen kommenden Linien. Aber in beiden Rücksichten ist die Wichtigkeit einer einzelnen nicht in einem zusammenhängenden System eingefügten Festung heute wesentlich beschränkt. Bei den ungeheuren Truppenmassen, über die Rußland von Anbeginn verfügte, bei der gewaltigen Uebermacht, mit der es rechnen durfte, bei den ununterbrochen zuströmenden Verstärkungen, die alle Verluste ausglichen und alle neuauftauchenden Bedürfnisse deckten, konnte die Abgabe der für die Belagerung von Przemysl ausgeschiedenen Streitkräfte die Offensivkraft des russischen Heeres an den Hauptkampffronten nicht eigentlich schwächen.

Trotzdem haben die Russen bei der ersten Belagerung, deren Anfang man mit dem Tage der völligen Einschließung am 21. September festsetzen kann und die bis zum Entsatz am 11.Oktober währte, die ungeheuersten Anstrengungen gemacht, um sich der Festung zu bemächtigen. Der Kampf gehört zu den gewaltigsten und furchtbarsten in diesem gewaltigsten und furchtbarsten aller Kriege. Die Russen boten zur Berennung Przemysls fünf Armeekorps mit einer Gesamtstärke von rund 200.000 Mann auf und setzten an die Spitze den "bulgarischen Napoleon" General Radko Dimitriew. Dimitriew wiederholte hier die aberwitzigsten Künste einer Angriffstaktik, durch die er in den thrakischen Gefilden die Kraft der Bulgaren so übel geschwächt hatte. Allerdings wird zu seiner Entschuldigung erzählt, er habe vom Oberkommando und durch einen Ukas des Zaren den Befehl erhalten, Przemysl unter allen Umständen bis zum 8. Oktober zu nehmen. Und so wurde denn mit jener Menschenverschwendung vorgegangen, die der russischen Heeresführung eigentümlich ist. Keineswegs aber darf man etwa die Belagerung etwa dilettantisch nennen. Außer der sehr zahlreichen Feldartillerie hatten die Russen einen großen Belagerungspark mit 15, 18, 21 und 24 Zentimeter-Haubitzen zur Verfügung, selbst Marinegeschütze waren vom Schwarzen Meer herangeholt worden. Auch war das Feuer der Russen vorzüglich geleitet und gut gezielt, hatte aber gleichwohl nur sehr geringe Wirkung, da selbst die Geschosse aus den stärksten russischen Kalibern den Betonbauten der Befestigungen nichts Ernstliche anhaben konnten. Der Geschützkampf erreichte vom 4. Oktober ab seinen Höhepunkt. Und nun setzte zugleich der Infanteriesturm der Russen ein. Von der Hauptstellung der russischen 24 Zentimeter-Haubitzen auf der Magierahöhe, wo die Geschütze in mehreren Staffeln übereinander standen und durch starke Betoneinbauten und ausgedehnte Drahtverhaue geschützt waren, ergoß sich der furchtbarste Feuerregen auf die Festung herab. Doch erwies sich diese artilleristisch überlegen, und namentlich die 30.5 Zentimeter-Mörser, die bei Namur und Antwerpen ihre Wunder verrichtet hatten, brachten überall dort, wo sie mit ihren Automobilen herangebracht wurden, die russischen Batterien zum Schweigen. Die unbeschreiblich blutigen Kämpfe, die mit dem Sturmlauf der Russen entbrannten - vom 5. Oktober ab berannten die Russen mit dichten Menschenmassen zweiundsiebzig Stunden hindurch ununterbrochen die Befestigungen - , sind hier wiederholt uns ausführlich geschildert worden: der Kampf um das Fort Duckowicki, die Vernichtung der 127. russischen Infanterieregiments, die fünftausend Toten, die allein vor diesem einzigen Fort den blutgetränkten Boden deckten, der Ansturm der elf Bataillone der Russen gegen die beiden kleinen Forts bei Siedlicka, da grauenhafte Gemetzel in den Gräben dieses Forts, als eine eingedrungene russische Abteilung wieder hinausgeworfen ward. Insgesamt haben die Russen durch den Wahnwitz einer Sturmtaktik, die eingesetzt wurde, bevor noch die Befestigungswerke artilleristisch erschüttert waren, an 70.000 Tote und Verwundete verloren. Der Verlust unserer Truppen wurde damals mit etwa 600 oder 700 Mann angegeben. Der Sturmangriff brach in sich zusammen, als gleichzeitig der Vorstoß der Armeegruppe Boroevic den Entsatz brachte. Am 12. Oktober hielten unsere Truppen den Einzug in Przemysl. Wiederum aber war es die Veränderung der strategischen Gesamtlage in Polen, welche die Heeresleitung nötigte, ihre Truppen zurückzunehmen und Przemysl von neuem seinen eigenen Verteidigungsmitteln zu überlassen. Das geschah am 11. November und hiemit begann die zweite abschließende Phase der Belagerung.

Ueber die einzelnen Vorgänge dieser zweiten viereinhalb Monate währenden Belagerung sind wir nur wenig unterrichtet. Aus dem heute veröffentlichten Armeebefehl des Oberkommandanten ersieht man, daß die Russen, wenigstens in der letzten Zeit, in erneuten Angriffen der Festung zusetzten, und man erfährt von einem letzten Ausfall, durch den die Besatzung den Ring der Belagerer zu durchbrechen versuchte. Im ganzen aber lassen die sonstigen Angaben darauf schließen, daß die Russen bei der zweiten Belagerung die Methode des Kampfes durchaus änderten. Sie hatten sich durch unerhörte Verluste die Ueberzeugung verschafft, daß die artilleristischen Waffen, über die sie verfügen, die Festungswerke zu bezwingen unzureichend waren, und mochten sich sagen, daß der strategische Wert von Przemysl die unbeschreiblichen Opfer neuer Stürme nicht rechtfertigte. Was die Japaner in Port Arthur getan hatten, um der russichen Flotte die Basis zu rauben, und was sie tun mußten, weil ihre Artillerie gleichfalls der Aufgabe, die Festungswerke zu überwältigen, nicht gewachsen war, das hatte in der Nachahmung durch Radko Dimitriew wahnwitzig abenteuerliche Formen angenommen. Und eigentlich war es zum Teil wohl diese militärisch durch nichts zu rechtfertigende Sturmtaktik Dimitriews, die Przemysl in dem Kriege jenen hohen Gefühlswert lieh. In den Oktobertagen handelte es sich offenbar den Russen darum, den Glanz eines weithin sichtbaren Erfolges um jeden Preis zu erlangen. Inzwischen war auf allen Schlachtfeldern die Heeresführung sachgemäßer geworden. Moltke würde, wäre ihm die Aufgabe zugefallen, eine Festung in dieser für das angreifende Heer so günstigen Lage kaltzustellen, sie einfach mit einer Belagerungstruppe umgeben haben, nicht viel stärker als die Besatzung selbst. Und indem die Belagerungstruppe rings ein verschanztes Lager bezogen hätte, würde sie in ruhigem Ausharren dem Gegner die Aufgabe zugeschoben haben, sich in Ausfällen tätig zu zeigen, oder wenn die Zeit sich erfüllt hätte, die Waffen zu strecken. So wurde in den meisten Fällen im Deutsch-Französischen Kriege verfahren, da ja auch 1870/71 das deutsche Heer nicht über eine Artillerie verfügte, stark genug, um die Befestigungswerke jener Zeit im Feuer zu bewältigen. Im großen und ganzen dürfte dies auch die Taktik der Russen in der zweiten Epoche der Belagerung gewesen sein, denn die Umstände und die inzwischen gewonnenen Erfahrungen sprachen allzulaut für eine solche Kampfesweise. Damit ist jedem anschaulich gemacht, wie begrenzt im Grunde die Bedeutung von Przemysl für den Kriegsverlauf in den letzten Monaten war; stand der Platz doch einerseits außer jedem Zusammenhang mit den Operationen und war andererseits sicherlich, wenn man sich nicht darauf versteifte, die Sache übers Knie zu brechen, auch nicht fähig, viel mehr russische Streitkräfte zu binden, als der Stärke der Besatzung entsprach. Ist unsere Annahme richtig, so wird auch der Fall von Przemysl keine Truppenmassen auf russischer Seite freimachen, die ein entscheidendes Gewicht in den Karpathenkämpfen auszuüben vermöchten; obwohl natürlich hier in diesem schweren und entscheidungsvollen Ringen auch das Eingreifen von anderthalb bis zwei Armeekorps nicht ohne Bedeutung sein mag.
 

 

 

Der Fall Przemysls.

 
Eine schmerzliche Kunde kommt aus unserem Hauptquartier: Nach viermonatiger heldenmütiger Verteidigung hat sich das vom General der Infanterie v. Kusmanek bisher in allen Stürmen gegen eine erdrückende russische Uebermacht gehaltene Przemysl gestern dem Feine ergeben müssen. Was allen Anstrengungen der russischen Uebermacht nicht gelang, das hat schließlich und endlich der grausamste Fein, der Hunger, erzwungen. Angesichts des Schwindens der Lebensmittel, an denen auch die Gefangenen zehrten, die die tapfere Garnison gemacht hatte, erhielt der General der Infanterie v. Kusmanek den Befehl, die Festung, nachdem er alle Forts und sonstigen Befestigungsanlagen sowie die Geschütze zerstört hatte, zu übergeben, und damit schließt nun eine ruhmreiche Episode nicht nur in der Geschichte dieser Festung, sondern auch in der Geschichte unseres tapferen Heeres überhaupt. Der von der Geschichte unseres tapferen Heeres überhaupt. Der von General v. Höfer veröffentlichte Bericht gibt uns die tröstliche Versicherung, daß die Gesamtlage in den Karpathen durch den Fall der Festung keine Veränderung erfahren habe, und dieser Versicherung dürfen wir Glauben schenken. Gewiß ist der Fall von Przemysl ein schmerzlicher Verlust, wir müssen uns aber vor Augen halten, daß die Festung ihre Hauptaufgabe in der rühmlichsten Weise gelöst hat. Diese bestand darin, daß sie nach dem Rückzuge der österreichisch-ungarischen Armee aus Ostaglizien nach der Lemberger Schlacht den Vormarsch der Russen nach Welstgalizien aufhielt. Am 16. September erschienen damals die Russen vor der Festung, die sie alsbald einschlossen und die sie in der heftigsten Weise bestürmten. Die Russen opferten damals in unausgesetzten, sich immer wiederholenden Stürmen Hekatomben von Menschen, aber mit schier übermenschlicher Tapferkeit hielt die tapfere Besatzung nicht nur der furchtbaren Beschießung auch durch Artillerie, sondern auch allen wütenden Infanterieangriffen stand, so daß sich die Russen vor der Festung erschöpften und die k.u.k. Armee Zeit erhielt, sich neu zu gruppieren und anfangs Oktober zu einer neuen Offensive vorzugehen. Vergeblich waren damals auch die letzten verzweifelten Anstrengungen der Russen in den Tagen vom 5. bis 7. Oktober, die ihnen 70.000 Mann gekostet haben sollen. Bis der Abend des letztgenannten Tages hereinbrach, sah der russische Oberbefehlshaber die Zwecklosigkeit weiterer Anstrengungen ein und bald darauf zog die k.u.k. Entsatzarmee in die befreite Feste ein.

Wenn die tapferen Verteidiger Przemysls nichts anderes vollbracht hätten als diese wochenlange Aufhaltung des russischen Vormarsches nach Westgalizien, so hätten sie ihre Namen schon mit unverlöschlichen Lettern in die Tafeln der Geschichte eingegraben und damit unserem Vaterlande unschätzbare Dienste geleistet. Sie haben aber auch noch ein zweitesmal ebenso Großes vollbracht, indem sie nach dem Rückzuge der verbündeten deutschen und östereichisch-ungarischen Armeen anfangs November sehr beträchtliche Teile des russischen Heeres auf sich lenkten und diese seit der neuerlichen Einschließung der Festung, die von General v. Höfer am 11. November gemeldet wurde, vor Przemysl fesselten. Diese Kräfte gingen den Russen bei ihrer Offensive über die Karpathen und bei ihrem Versuche, nach Schlesien durchzubrechen, ab, und darin liegt die Bedeutung der neuerlichen Leistungen der tapferen Besatzung während dieser zweiten Belagerung, die nun ein schmerzliches und nach Lager der Dinge für die Verteidiger durchaus rühmliches Ende in der Uebergabe der Festung stand, die nicht die feindlichen Waffen, sondern der Hunger erzwang. Die Waffenehre der tapferen Verteidiger von Przemysl ist voll gewahrt worden. Wir dürfen sie als eine Heldenschar preisen, die das, was Menschen möglich war, vollbrachte. Die Anstrengungen der verbündeten Heere, die Festung zu befreien, sind leider vorderhand vergeblich geblieben. Die Wetterunbilden, die sich in den Karpathen doppelt empfindlich geltend machten, haben den Vormarsch unserer Truppen selbstverständlich in sehr beträchtlichem Maße verzögert, und angesichts der geringen Lebensmittelvorräte mußte die Festung kapitulieren, ehe die Entsatzheere herangerückt waren und ihr Druck auf die Belagerungsarmee sich geltend machen konnte. Wir werden der tapferen Verteidiger der Festung, die bis zur letzten Brotration ausharrten, allzeit in Dankbarkeit gedenken und dürfen auf den ungebrochenen Kampfesmut unserer herrlichen Truppen, alles daran setzen wird, um eine neue militärische Lage herbeizuführen, die uns für den Verlust dieser Festung entschädigt.

Hans Buchstein.
 

 

 

Der Armeebefehl über Przemysl.

 
Wien, 22.März. Seine k.u.k. Hoheit Feldmarschall Erzherzog Friedrich hat nachstehenden Armeebefehl erlassen:
"Nach viereinhalbmonatigen heldenmütigen Kämpfen, in welchen der rücksichtslos und zähe, aber stets vergeblich anstürmende Feind ungeheure Verluste erlitt und nach blutiger Abweisung seiner noch in der letzten Zeit, insbesondere am 20. und 21. März, Tag und Nacht unternommenen Versuche, die Festung Przemysl mit Gewalt in die Hand zu bekommen, hat die heldenmütige Festungsbesatzung, die noch am 19. März mit letzter Kraft versuchte, den übermächtigen Ring der Einschließung zu sprengen, durch Hunger bezwungen, über Befehl und nach Zerstörung und Sprengung aller Werke, Brücken, Waffen, Munition und des Kriegsmaterials aller Art, die Trümmer von Przemysl dem Feinde überlassen.
Den unbesiegten Helden von Przemysl unseren kameradschaftlichen Gruß und Dank; sie wurden durch Naturgewalten und nicht durch den Feind bezwungen; sie bleiben uns ein hehres Vorbild treuer Pflichterfüllung bis an die äußerste Grenze menschlicher Kraft.
Die Verteidigung von Przemysl bleibt für ewige Zeiten ein leuchtendes Ruhmesblatt unserer Armee.
Feldmarschall Erzherzog Friedrich.
 

 

 

Die Übergabe Przemysls.

 
Eine Trauerkunde rauscht wie auf schwarzen Fittichen über Österreich-Ungarn hin: Przemysl, das starke und treue, ist gestern samt seiner ganzen Besatzung dem Feinde übergeben worden! Das Herz drohte jedem, der die Kunde vernahm, sekundenlange stille zu stehen und wie eine allgemeine Lähmung legt sich diese Nachricht auf alle Sinne. Und dann steigen Gefühle auf, bitter und würgend, und die urplötzliche Erkenntnis wirkt wie ein Frostreif auf uns alle. Denn nicht der Feind hat Przemysl bezwungen; nie noch sahen die Vorwerke einer Festung solche Felder von Feindesleichen vor sich, als die Werke von Przemysl und noch in diesen Tagen nannte ein russischer Genieoberst die Eroberung von Przemysl eine dumme, phantastische Schwätzerei! Durch viereinhalb Monate wurde die Festung ruhmvoll verteidigt und während der Feind die ungeheuerlichsten Verlsute beim wilden Stürmen erlitt, gelang es ihm nicht, auch nur eine Handbreite Boden im Vorfelde zu gewinnen. Von Glanz und Ruhm umflossen, so sahen wir die tapfere Besatzung Przemysls mit ihrem Kommandanten immer vor uns; russische Offiziere gelangten zur Anschauung, daß die Festung Przemysl vollkommen uneinnehmbar sei, im russischen Heere entstanden Legenden voll abergläubischer Scheu und einer erzählte es dem anderen, daß eine zweite wundertätige Maria von Czenstochau ihren Mantel über Przemysl gebreitet habe, oder daß der Teufel diese starke Festung erbaute und sein Werk mit allen Künsten der Hölle verteidige, so daß jeder Sturm auf diese Festung vergeblich ist und ihm nutzlos Tausende der Stürmer geopfert werden. Und nun hat dieser starke Hort der Zuversicht dennoch dem Feinde übergeben werden müssen! Nicht der Feind hat Przemysl erobert, sondern der Hunger hat es gelähmt und besiegt und mit dem letzten Laib Brot war auch Przemysl verloren. Der österreichisch-ungarische Generalstabsbericht von gestern abends, der die erschütternde Kunde von der Tragik der Besatzung von Przemysl brachte, sagt es offiziell: Schon Mitte diese Monats begannen die Verpflegsvorräte, die in die Festung gebracht worden waren, knapp zu werden und vom 19. März an, für welchen Tag der tapfere General Kusmanek einen Durchbruchsversuch anordnete, um vielleicht die Linien der eigenen Feldarmee zu erreichen - ein Unternehmen, das an der Ueberzahl der Feinde scheiterte - von diesem 19.März an gestattete auch die äußerste Beschränkung der Verpflegsration nur noch einen dreitägigen Widerstand und als auch diese letzte Frist des Hungers verstrichen war, mußte der Festungskommandant entsprechend dem erhaltenen höheren Befehle den Platz dem Feinde überlassen! Wie arm erscheint der ganze Reichtum der Sprache, wenn er versuchen wollte, die würgenden, todtraurigen Empfindungen zu schildern, welche die Herzen und die Seelen des kommandierenden Generals, der Offiziere und der ganzen heldenmütigen Besatzung umkrallt haben müssen, als die entsetzliche Not des Leibes, die leeren Speicher, sie dazu zwangen, das uneinnehmbare Przemysl dem Feinde zu überlassen und selber in die Gefangenschaft der Russen zu ziehen! Aus Mangel an Vorräten von Lebensmitteln! Das Innere krampft sich zusammen bei dem Gedanken daran, daß soviel Heldenmut letzten Endes nicht seine Krönung fand, daß der militärische Glanz, der von Przemysl seit Monden ausstrahlte, wie Sonnenstrahlen in einer trüben Lache verzittern muß, daß der Mangel an Mehl und Brot und Konserven die Helden von Przemysl dem Feinde überliefern mußte. Mehr Lebensmittel und der feuerspeiende Fels von Werken und tapferen Männern wäre unbezwungen geblieben wie am ersten Tage.
 

 

24. März 1915

 

 

Der Fall von Przemysl und die Kriegslage.

 
. . . In dem Bericht, der die näheren Umstände der Uebergabe Przemysls und ihre Ursachen darlegt, begegnen wir dem Satze: "Daß die Festung nicht von Haus aus für längere Dauer versorgt war, erklärt sich daraus, daß die vorhandenen Instruktionen und Intendanturen eine bloß dreimonatige Verproviantierung zur Regel machten, weil die in allen Armeen Europas herrschende Auffassung mit einer kurzen Kriegsdauer rechnete, trotzdem Przemysl auf etwa ein halbes Jahr verproviantiert war. Genau so lange waren die Besatzung und Bevölkerung auf die vorhandenen Vorräte angewiesen, trotz der Unterbrechung, die die Belagerung im Oktober erfahren hat." Danach wäre also Przemysl gefallen, weil die theoretische Auffassung vom Kriege durch den tatsächlichen Verlauf widerlegt wurde. Ja, wäre man streng nach den theoretischen Anschauungen und den vorhandenen Instruktionen vorgegangen, so hätte der Fall schon nach drei Monaten eintreten müssen. Die dreimonatige Frist ist besonders bemerkenswert. Sie beweist, daß dem Kriege eine weit kürzere Dauer gesetzt wurde, als selbst der Deutsch-Französiche Krieg hatte, denn mehrere französische Festungen machten 1870/71 eine längere Belagerung durch als drei Monate; dasselbe gilt von Port Arthur. Nicht gut anzunehmen ist, daß auch im Oktober bei der mehrwöchigen Unterbrechung der Einschließung die Meinung von der Kurzfristigkeit des Weltkrieges noch völlig unerschüttert stand. Offenbar war aber die gegebene Zeit - insbesondere unter den gegebenen Verhältnissen - nicht ausreichend, nebst dem vor allem nötigen Schießbedarf auch noch genügende Menge von Lebensmitteln in die Festung zu bringen.
     Der Erfolg, den die Russen durch den Fall von Przemysl errungen haben, wird in den Dreiverbandsländern weit über seine Bedeutung hinaus gepriesen und erhoben werden. . .
 

 

 

Die Helden von Przemysl.

Begeisterte Anerkennung in Deutschland.

 
Berlin, 23. März. Die Morgenblätter widmen dem heldenhaften Ende der Festung Przemysl warme Worte.
     Die "Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Die tapfere Gegenwehr die die Verteidiger von Przemysl während langer Monate einem zahlenmäßig weit überlegenen Feinde geleistet haben, sichert ihnen in der Geschichte dieses Weltkrieges ein ehrendes Gedenken. Was menschliche Kräfte unter den obwaltenden Umständen vollbringen konnten, ist hier in reichem Maße geschehen. Mit mustergültiger Ausdauer und nie versagender, mutiger Hingebung hat die Besatzung in der Abwehr feindlicher Angriffe und in fruchtlosen Ausfällen allen Anforderungen entsprochen, die an sie gestellt werden konnten. Der Bewährung solch hoher soldatischer Tugenden waren allerdings zeitliche Schranken gezogen, die durch die Dauer der Verpflegsmöglichkeiten bestimmt wurden.
     Bis zuletzt erfüllten die in der Festung eingeschlossenen Truppen ihre schwere Pflicht, bis zur Vernichtung der noch vorhandenen Kriegsmittel durch ihre eigene Hand. So ist in der Tat die mit größter Aufopferung verteidigte Festung in vollen Ehren gefallen.
     Die "Vossische Zeitung" sagt: Durch zahlreiche Ausfälle wurde die Verteidigung in offensivem, modernem Sinne geführt. Die Ausfälle fesselten starke russische Kräfte und hielten sie von der Verwendung an anderer Stelle fern. Damit hat die Festung eine ihrer wichtigsten Aufgaben erfüllt und sehr wesentlich zu dem bisherigen glücklichen Verlaufe der Operationen beigetragen. Es ist ein tragisches Schicksal, daß die Besatzung trotz des heldenmütigen Widerstandes und trotz aller erfolgreichen Ausfälle sich schließlich infolge äußerer Einflüsse, gegen die jede menschliche Macht wirkungslos blieb, hat ergeben müssen.
     Das "Berliner Tagblatt" führt aus: Die Russen hätten dieser tapferen Besatzung gegenüber wahrscheinlich nie einen entscheidenden Erfolg erzielt, sie wären nie in den Besitz der Festung gelangt, wenn nicht Proviantmangel und Hunger die Besatzung zur Uebergabe gezwungen hätten. Heute bleibt nur übrig, die opfermutigen Männer nach Verdienst zu ehren, die der amtliche Wiener Bericht mit Recht "Helden von Przemysl" nennt.
     Die "Deutsche Tageszeitung" schreibt: Die Festung ist nicht durch die russischen Waffen, sondern durch Hunger bezwungen worden, so daß nicht die Russen, sondern nur der Besatzung Ehre daraus erwächst, die viereinhalb Monate allen Angriffen des Feindes erfolgreich standhielt.

Die "Germania" schreibt: Die Besatzung hielt sich heldenhaft. Nicht im Kampf und Sturm ist es dem Feine gelungen, sie zu überwinden. Das würde er nie erreicht haben. Umso tiefer ist es zu beklagen, daß die Russen mit Hilfe der unerbittlichen Naturgewalt des Hungers ihr Ziel erreichten. Aus ganzem Herzen wird sich jeder Deutsche den anerkennenden Worten anschließen, welche die halbamtliche "Norddeutsche Zeitung" der tapferen Besatzung widmet.
     Köln, 23. März. Die "Kölnische Zeitung" hebt die zäheste Ausdauer der Besatzung von Przemysl unter dem heldenhaften Kommandanten Kusmanek hervor und sagt: Ein Trümmerhaufen ist in der Hand unserer Feinde. Mit aufrichtiger Trauer vernimmt das deutsche Volk die Kunde von dem schweren Schlage. Die Sühne für den Fall von Przemysl werden sich die Bundesgenossen auf dem Schlachtfelde holen. Nicht gepanzerte Werke, sondern stahlharte Herzen erringen den Sieg.
     Auch die "Kölnische Volkszeitung" erklärt: Die Freude über diesen Erfolg wird den Russen arg versalzen, da Forts, Geschütze, Munition und Befestigungen rechtzeitig zerstört wurden, so daß die Russen gleichsam ein Messer ohne Klinge erhielten. Wir gedenken mit tiefer Dankbarkeit der heldenmütigen Verteidiger.
 

 

 

Der Fall von Przemysl.

Die Gründe der Uebergabe von Przemysl.

 
Mit einer letzten Anstrengung versuchte die heldenmütige Besatzung am Freitag einen Ausfall, der neuerlich zeigte, daß sich die Belagerer ringsum festungsartig verbaut hatten.
     Gestern und vorgestern unternahmen die Russen Angriffe gegen die Ost- und Nordfront, sie wurden an allen Stellen unter großen Verlusten zurückgewiesen.
     In der Zwischenzeit feuerte die Artillerie der Festung gegen die feindlichen Linien und in die Detonation der Festungsgeschütze mischte sich die der Sprengung aller bedeutsamen Objekte, der Forts, Kanonen und Munitionsvorräte.
     Heute früh begab sich der Bevollmächtigte des Festungskommandanten zum Kommandanten der Blockadearmee, um die Bedingungen der Uebergabe zu vereinbaren.
     Um 6 Uhr 55 Minuten morgens ging das letzte Radiotelegramm aus der Festung des Oberkommando ab, dann wurde auch der Telegraph zerstört.
     Das heldenhafte Ausharren der Besatzung, die nur von äußersten Entbehrungen und von Krankheiten bezwungen wurde, ist geeignet, die höchste Bewunderung hervorzurufen.
     In eingeweihten militärischen Kreisen war es seit Tagen kein Geheimnis mehr, daß die Besatzung in den letzten Wochen mit denkbarster Oekonomie haushielt, um das traurige Schicksal der Uebergabe so lange als möglich abzuwenden.
     Die bedauerliche Tatsache, daß sie schon seit Wochen zu solcher Oekonomie gezwungen war, lag daran, daß in der kurzen Zeit zwischen den beiden Zernierungen es nicht möglich war, die Stadt für längere Zeit zu verproviantieren. Schon die erste Belagerung brauchte einen großen Teil der Vorräte aus und nach dem ersten Entsatz gestaltete sich die Neuanschaffung darum überaus schwierig, weil die Bahnlinie vom Süden, die einzig in Betracht kam, zerstört war und erst am 23. Oktober wieder in Betrieb gesetzt wurde.
     In dieser Zeit mußten auf der Bahn Verwundete abgeschoben und Nachschübe für die in der Offensive begriffene Armee Boroevic befördert werden. Es blieben also nur die Landstraßen übrig, die südliche, westliche und südwestliche, über die die österreichischen und russischen Armeen je zweimal marschiert waren und die sich deshalb in einem völlig desolaten Zustande befanden. Technische Mannschaften waren allerdings sofort an der Arbeit, die Straßen wieder herzustellen aber der Train konnte nur langsam vorwärtskommen.
     In der Festung befanden sich die 23. Honved-Division unter der Führung des Feldmarschalleutnants Tomassy, ostgaliziesche Landwehr, oberungarischer und galizischer Landsturm. Die Forts wurden von Wiener Festungsartillerie und ungarischem Landsturm verteidigt.
     In den vielen Ausfällen, deren bedeutendster vom 12. bis 15. Dezember währte, bewies die Besatzung Przemysls ihr mit den Waffen nicht niederzuzwingendes Heldentum, das jetzt dem unentrinnbarem Zwange der Not erlag.
 

Die strategische Bedeutung Przemysls

 
     Der Kriegskorrespondent des "Fremdenblattes" meldet:
     Die Russen zernierten Przemysl mit verhältnismäßig schwachen Kräften und zogen im Laufe der Belagerung immer mehr Truppen ab. Denn der Ausbau eines befestigten Zernierungsringes machte stets Fortschritte. Während Przemysl vor seiner ersten Belagerung einen wichtigen Stützpunkt für die Operationen bildete, und während der Belagerung ungefähr fünf russische Korps binden konnte, war während der zweiten Belagerung die Festung nicht mehr imstande, diese Aufgaben zu erfüllen.
     Auch ein anderer wichtiger strategischer Zweck, die Sperre der Kommunikationen, ging für uns verloren, denn die Russen führten die von Ost- nach Westgalizien gehenden Eisenbahnlinien und Straßen außerhalb des Artilleriebereiches um die Festung herum.
     Daraus ergibt sich, daß Przemysl in den letzten Wochen für uns an Wert verloren hatte, denn die Festung befand sich weit im Rücken der russischen Front.
     Am 25. Jänner begannen unsere Truppen trotzdem eine Offensive, die zwar nicht wegen Przemysl unternommen, aber wohl auch in ihrem weiteren Verlaufe die Stadt entsetzt hätte. Der heftige Winter machte der Offensive ein rasches Ende. Die russischen Gegenstöße, die mit schleunigst herbeigezogenen Verstärkungen unternommen wurden, verliefen erfolglos. Eine abermalige Offensive, die unsere Truppen in den ersten Tagen des März unternommen haben, kam leider wiederum in einen neuen Winter.
     Obwohl also Przemysl für uns strategisch heute wertlos geworden ist, wurden doch von unserer Seite Versuche gemacht, es zu entsetzen. Freilich waren dies keine Sonderaktionen, sondern sie liefen mit dem allgemeinen strategischen Plan Hand in Hand.
 

Annerkennung der ruhmvollen Verteidigung in Italien.

 
     Rom, 23.März. Die Nachricht von der Uebergabe Przemysls kam hie völlig unerwartet. Die Blätter kommentieren das Ereigniss in einer für die Monarchie sympathischen Weise.
     "Giornale d´Italia" rühmt den Heroismus der Verteidiger, die keinen einzigen Augenblick Zeichen der Schwäche verrieten. Przemysl bildet ein glorreiches Blatt in der österreichischen Kriegsgeschichte.
 

 

25. März 1915

 

 

 

 

 

Die Übergabe der Festung.

 
Christiana, 24. März. "Astenposten" meldet aus Petersburg: Nach der Kapitulation von Przemysl wurden dem General v. Kusmanek und seinen Offizieren alle militärischen Ehren erwiesen. Die russischen Offiziere zeigten die größte Bewunderung für den Mut und die Tapferkeit des Kommandanten. General v. Kusmanek wollte seinen Säbel übergeben. Man antwortete ihm aber: Herr General, ein halbes Jahr haben Sie unserer Uebermacht Widerstand geleistet, Rußland wünscht, daß Sie Ihr Schwert behalten. Sie sind immer ein tapferer und ritterlicher Feind gewesen.
 

Die Gefangenen von Przemysl.

 
Feldzeugmeister i.R. Hugo von Hoffmann schreibt über die in Pzremysl gefangene Armee: "Alle, die bei der Festungsbesatzung Angehörige haben, mögen sich über ihr Schicksal beruhigen. Wohl deprimiert der Gedanke an die Kriegsgefangenschaft. Doch ist mit Bestimmtheit zu erwarten, daß der Heldenmut der Verteidiger auch beim Feine Anerkennung finden und ihr Los sich besser gestalten wird, als da der anderen Kriegsgefangnen, obgleich man auch diese - wenn man von der großen räumlichen Trennung absieht - keine allzu deprimierenden Berichte kommt."
 

Die Luftschiffe aus Przemysl gerettet.

 
Wien, 24. März. Die Flieger der Festung haben sich und ihre Apparate im letzten Augenblick in Sicherheit gebracht und sind glücklich gelandet; sie führten die wichtigsten Dokumenten mit.
 

Vernichtung des Papiergeldes in der Festung.

 
Das Eigentum der Staatskassen und der Besatzung an Papiergeld - viele Millionen - war nach Registrierung von Serie und Nummer jeder Banknote vor der Übergabe der Festung verbrannt worden.
 

 

 

Przemysl,

 
ist erst im Jahre 1874 zur Festung umgestaltet worden. Die Stadt hat eine sehr freundliche Lage in den Ausläufern der Karpathen und wird durchflossen von dem breiten San, einem Nebenfluß der Weichsel, über den das Hauptbauwerk der Stadt, eine 180 Meter lange Brücke, führt. Ungefähr vie Mittelstation an der Staatsbahnlinie, die von Lemberg nach Krakau führt, ist Przemysl wichtig als Eisenbahn- und damit als strategischer Punkt. In Friedenszeiten treibt die Stadt einen lebhaften Handel mit Holz, Getreide, Leder und Leinwand. Auch hat sie verschiedene recht bedeutende Maschinenfabriken. Das Stadtbild als Ganzes ist etwas nüchtern; nur die beiden altertümlichen Domkirchen geben ihm einen charakteristischen Zug. Von den etwa 50.000 Einwohnern ist die weitaus größte Zahl polnischer Abkunft; daneben gibt es noch Ruthenen und Juden. Daß die Polen das Uebergewicht in der Stadt haben, geht auch schon aus dem Umstand hervor, daß die beiden einzigen nennenswerten Kunstdenkmäler zwei polnische Nationalhelden verherrlichen: Johann Sobieski, den ruhmreichen Ueberwinder der Türken und Tataren, und Adam Sienckiewiez, den Dichter, der einer der glühendsten polnischen Patrioten gewesen ist.
 

 

 

Einzug der Russen in das zerstörte Przemysl.

Alles in Trümmern.

 
Rotterdam, 24. März. Die im russischen Hauptquartier befindlichen Journalisten schildern, in welchem Zustande sie die Festung Przemysl nach der Uebergabe fanden. Die Berichterstatter wurden per Automobil von Lemberg nach Przemysl gebracht, um Zeugen des Einrückens der Russen in die Festung zu sein. Sie passierten viele verwüstete und in Trümmern liegende Dörfer, bis sie vor Przemysl ankamen.
     Bei Szechynie sah man noch die Spuren des letzten Ausbruches der heldenmütigen Besatzung; sehr viele russische Leichen lagen hier unbegraben. Von hier aus konnten die Journalisten die Geschehnisse überblicken.
     Aus den Forts stiegen mächtige Stichflammen empor. Ringsum überall Detonationen, ungeheure Flammen und Rauchwolken. Der Parlamentär war schon längst zurückgekehrt und die Besatzung war noch immer mit der Sprengung der Werke und Geschütze beschäftigt. Die Berichterstatter sahen nichts wie Ruinen, unter anderem auch die Reste des ebenfalls gesprengten Panzerzuges. Es lag alles in Trümmern, als die ersten russischen Truppen bei den äußeren Forts der Festung anlangten.
 

 

 

Unterredung mit Frau v. Kusmanek,

Gemahlin des G.d.I. Hermann v. Kusmanek,
Kommandanten der Festung Przemysl.

 
Budapest, 24. März.
     Die Gemahlin des heldenmütigen Verteidigers von Przemysl, G.d.I. Hermann von Kusmanek, die sich derzeit in Raab bei ihrer Tochter aufhält, empfing den Berichterstatter der "Neuen Freien Presse" und machte folgende Mitteilungen:
     Ich habe heute von meinem Manne zwei Feldpostkarten erhalten, die eine früh, die andere vormittags um halb 12 Uhr. Beide sind bereits von längerer Zeit her datiert.
     Ihre Exzellenz zeigte mir die beiden Karten, von denen die eine mit Tinte, die andere mit Bleistift geschrieben war, und gestattete mir, ihren Inhalt zu notieren. Die beiden Karten sind mit festen Zügen kalligaphisch schön geschrieben.
     Die eine Karte trägt das Datum: Przemysl, 1. Februar 1915, und lautet: " Meine Lieben! Obschon es ganz vom Wetter und der Windrichtung abhängt, wann wieder ein Ballon mit Post abgelassen wird, benütze ich einen freien Moment, um Euch mitzuteilen, daß ich gesund und wohlauf bin und Euch viele tausend innige Grüße und Küsse sende."
     Die zweite Karte ist vom 15.d. datiert und hat folgenden Wortlaut:
"Meine Lieben! Tausend Grüße und Küsse, sorgt Euch nicht, wenn Ihr lange nichts von mir hören werdet."
     Außerdem erhielt Ihre Exzellenz ein Telegramm, das am 22.d. um 8 Uhr 30 Minuten morgens in Przemysl aufgegeben worden war. Das Telegramm lautet: "Ich bin gesund, werde lange keine Nachricht geben können, seid unbesorgt."
     Nachdem ich diese Karten und die Depesche gelesen hatte, sagte mir Ihre Exzellenz: " Diese Karten und die gestrige Depesche haben mich beruhigt, denn ich hatte von meinem Manne schon lange keine Nachricht erhalten. Der letzte Brief, den ich bereits vor längerer Zeit erhalten habe, war vom 2. Februar datiert. Die Nachricht vom Falle der Festung erfuhr ich Montag abend um halb 11 Uhr von meiner Nichte. Sie erschütterte mich auf das tiefste, denn ich war darauf nicht gefaßt.
     Es ist wohl war, daß mein Mann in Friedenszeiten und auch bei Ausbruch des Krieges über militärische Angelegenheiten und sein Wirken sich mir gegenüber nicht geäußert hat, so war ich darauf nicht vorbereitet.
     Meine Besorgnisse schwanden aber beim Eintreffen der Depesche. Diese hat mich überaus beruhigt, nicht nur hinsichtlich meines Mannes, sondern auch bezüglich eines jeden Mitgliedes der tapferen Besatzung. Eine Beruhigung bietet mir auch das Bewußtsein, daß nicht die Waffen Przemysl besiegt haben, sondern nur der Mangel an Lebensmitteln.
     Ich muß mich darein finden wie auch die Angehörigen der tapferen Verteidiger, und wir müssen es nun als Trost hinnehmen, daß die heldenmütigen Verteidiger und ihre Angehörigen jetzt wenigstens brieflich miteinander werden verkehren können, denn ich hoffe, daß sich ein solcher Verkehr im Wege der neutralen Staaten abwickeln lassen wird."
     Die Gemahlin des General Kusmanek weilte bei Ausbruch des Krieges Anfang August in Przemysl, begab sich aber alsbald auf Wunsch ihres Gemahls nach Raab zu ihrer verheirateten Tochter. Ihre zweite Tochter ist als freiwillige Rote Kreuz-Schwester tätig.
 

Unterredung mit Frau von Tamassy,

Gemahlin des FML. Arpad v. Tamassy,
Kommandanten der Ausfallstruppen von Przemysl.

 
Wien, 24. März.
     Während die Familie des Kommandanten von Przemysl G.d.I. v. Kusmanek die tröstliche Mitteilung bekommen hat, daß Herr v. Kusmanek sich wohl befindet, ist die Gemahlin des FML.Arpard v. Tamassy, des Kommandanten der Ausfallstruppen von Przemysl, ohne jede direkte Nachricht.
´    Frau von Tamassy,die heute einen Berichterstatter der "Neuen Freien Presse" empfing, ist tief bekümmert, nicht nur weil sie seit Wochen von ihrem Gatten nicht gehört hat, sondern auch, weil sie weiß, wie schwer das Schicksal von Przemysl ihren Gatten betroffen haben wird. Frau v. Tamassy erzählt, daß sie am 18. Februar zum letzenmal durch die Fliegerpost einen Brief übermittelt bekam. Bis dahin schrieb Arpad v. Tamassy sehr fleißig, mehrmals in der Woche, im Dezember hatte er seine Frau sogar sein bis gegen Weihnachten reichendes Tagebuch zugeschickt.
     Auf dem Wege des Kriegsministeriums ging Frau v. Tamassy die Nachricht zu, daß ihr Gatte von dem letzten Ausfall, der er an der Spitze seiner Truppen gemacht, wohlbehalten in die Festung zurückkam, das ist aber auch alles. Wie sich sein Schicksal seither gestaltet hat, weiß Frau v.Tamassy nicht.
     Mühsam die Tränen niederkämpfend, zeigt uns Frau v. Tamassy ein Relief ihres Gatten, das ein Fliege Ende November aus der Festung mitgebracht hatte. Ein in Przemysl lebender eingeschlossener Künstler, Herr Szödy, war beauftragt worden, für die vier obersten Offiziere von Przemysl Kusmanek, Tamassy, Oberst Schwalb und Oberst Loiber ein Monument herzustellen, und einen Gipsabdruck des Kopfes Tamassys bekam seine Frau. Das Relief zeigt den noch sehr jungen General bartlos und ohne Kopfhaar. Sein scharfes, markantes Profil ist überaus wohlgelungen.
     Die Ehe des Herrn v. Tammassy ist kinderlos.
 

 

26. März 1915

 

 

Festung Przemysl.

Ein türkisches Urteil über die Kapitulation.

 
Konstantinopel, 24. März. Die Kapitulation Przemysls wird in der türkischen Presse mit dem Ausdrucke höchster Würdigung der Tapferkeit der heldenhaften Besatzung aufgenommen.
     Das Blatt " Turan" schreibt: Es ist außer Zweifel, daß die Uebergabe der Festung ein Zwischenfall ist, der der Geschichte Oesterreich-Ungarns ebensoviel Ehre macht wie ein Sieg. Wenn die österreichisch-ungarischen Armeen dieses glorreiche Blatt lesen, um das ihre heldenhaften Brüder die Kriegsgeschichte bereichert haben, werden sie, die seit Monaten erfolgreich gegen einen an Zahl weit überlegenen Feind kämpfen, dieses erhabene Beispiel sich vor Augen führen, werden sie fühlen, wie ihre Zähigkeit wächst, und neue Kraft finden, um dem Feinde neue Schläge zuzufügen. Das Schicksal der Festung Przemysl wird den Feuereifer und den Siegeswillen der österreichisch-ungarischen Armeen nur verdoppeln.
     Das Blatt bringt auch das Bild des Festungskommandanten Kusmanek.
 

 

 

Przemysl.

 
Pferdefleisch und Hafermehl. - Der letzte Braten. - Das Schicksal der Flieger. - Die letzten Stürme der Russen.
     Budapest, 24.März. Ueber die letzten Tage vor der Uebergabe Przemysls telegraphiert Franz Molnar auf Grund der Erzählungen der von der Festung aufgestiegenen Fliegeroffiziere dem "Az Est" nachfolgendes:
     Festungskommandant Kusmanek faßte in sehr richtiger Weise den Umstand ins Auge, daß, wenn er die Festung am 22.morgens übergebe, diesem Akte nicht sofort die allgemeine Versorgung der Mannschaft mit Lebensmitteln folgen werde. Er ließ daher sämtliche noch zur Verfügung stehenden Pferde auf einem Platz zusammentreiben und gab Befehl, die für die Pferde in einer kleinen Quantität noch aufbewahrten Hafervorräte zusammenzutragen. Die Pferde ließ er dann schlachten und alle haltbaren Fleischteile für die Zeitspanne weglegen, welche zwischen der Uebergabe der Festung und dem Eintreffen des ersten russischen Lebensmitteltransports voraussichtlich verstreichen wird. Den Hafer ließ er mahlen, und das so gewonnene Hafermehl wurde in kleinen Rationen den Fleisch- und Suppenrationen beigegeben.
     Sonntag, den 21.d. wurde die letzte Brieftaube gebraten und dem Festungskommandanten angeboten. General v. Kusmanek, der sich zu jener Zeit schon selber von Pferdefleisch nährte, nahm wohl an, schickte aber die gebratene Taube sofort ins Spital einem Schwerkranken.
     Von den Maschinen der während der Belagerungsdauer häufig verkehrenden Fliegerpost gingen zwölf zugrunde. Siebe Piloten und sieben Begleiter werden vermißt. Man weiß nicht, ob sie dem feindlichen Kugelregen zum Opfer gefallen oder bei gelegentlich erzwungenen Landungen in russische Gefangenschaft geraten sind. In der letzten Stunde befanden sich nur mehr zwei brauchbare Flugmaschinen auf dem Flugplatz. Beim Morgenanbruch wurde dieser Platz von russischen Schrapnells bestrichen. Die beiden Flieger, die um jeden Preis bis zum letzten Augenblick in der Festung ausharren wollten, wurde hiedurch zum Abschied gezwungen. Sie stiegen im heftigsten feindlichen Feuer auf. Während sie in Spiralwindungen immer höher stiegen, sahen sie noch lange die ihnen Abschied zuwinkenden Gruppen.
     Einer dieser Flieger, der hier eingetroffen ist, erzählt das Bild welches sich beim Aufstieg dargeboten habe, sei in seiner furchtbaren Schönheit unbeschreiblich gewesen. Aus den gesprengten Festungsteilen lohten bis zu den Wolken strebende Flammen und Rauchsäulen empor.
     Nach dem Ausfall vom Freitag hielten die ausgehungerten Helden der Besatzung noch zwei Nächte hindurch den russischen Angriffen stand. Wie bekannt, schlug die Besatzung in beiden Nächten sämtliche russische Angriffe zurück. In der Nacht von Sonntag auf Montag tobte der Kampf noch und um 4 Uhr morgens schritten die Russen zu immer neuen Sturmangriffen vor. Diesmal harrte ihrer aber eine Ueberraschung, bei deren Anblick sie sofort ihre Angriffe einstellten. Ein Festungswerk nach dem anderen wurde gesprengt.
     Die Tragik der letzten Stunden. - Alle Werke bis auf das Mutterwerk zerstört. - Die leeren Lebensmittelmagazine.
     Die Festungskanonen, unter diesen auch die oft erwähnten Dreißiger-Mörser, die seinerzeit dem Feind furchtbaren Schaden zufügten, sind nunmehr gänzlich zertrümmerte, militärisch wertlose Metallmassen. Die Besatzung begnügte sich nicht damit, lediglich die Verschlüsse abzumontieren, sondern technische Soldaten sprengten auch die rückwärtigen Teile der Geschütze in die Luft. Ein in Krakau eingetroffener Fliegeroffizier erzählte, daß Geschützteile in der Größe von Ellenbogen in der Luft umherflogen. Das Schauspiel, als die Tausende von Soldaten auf Befehl in der gehobenen Stimmung der letzten Minuten ihre Gewehre zerbrachen, machte auf die Offiziere in der schmerzlichen Großartigkeit des Augenblicks tiefen Eindruck. Den Boden der Festung bedeckten jetzt Unmengen zerbrochene Gewehre, Pistolen und Kavalleriekarabiner. Die Soldaten wendeten alle Kraft an, um selbst die Gewehrläufe zu verbiegen oder wenigstens zu sprengen.
    Nur ein Werk blieb unversehrt: das sogenannte "Mutterwerk", da schon in den 1860er Jahren aus Ziegeln erbaut worden war und von dessen Stirnfront der Name des ersten Erbauers der ganzen Festung grüßte: Salis-Soglio. Ob man dieses eine Werk nur zur Irreführung des Feindes nicht zerstörte, oder ob man aus Pietät an dieses von der Zeit längst überholte Mutterwerk nicht Hand anlegen wollte, darüber verlautet nichts.
     Die Lebensmittel waren in großen Lagerräumen südöstlich der Stadt untergebracht. Hier lagen reiche Konservenbestände, während sich auf freier Flur das Hornvieh aufhielt, daß die Metzger gleich an Ort und Stelle schlachteten, um den Tagesbedarf an Fleisch zu decken. Die Lebensmittelmagazine sind jetzt völlig geleert. Schon während der ersten Einschließung von Przemysl wollten die Russen diese großen Magazine in die Luft sprengen; damals rückten jedoch rechtzeitig die Entsatztruppen heran. Die Befreiung Przemysl nach der ersten Belagerung war eine Heldentat, sein Fall das Resultat unbarmherziger, auflauernder Aushungerung.
 

 

 
Die heute vorliegenden Meldungen über die Uebergabe von Przemysl bringen wenig Neues. Ein Bukarester Telegramm berichtet uns:
     Wie hieher aus Petersburg gemeldet wird, wurden die gefangen genommenen Offiziere von Przemysl zunächst nach Lemberg gebracht, von wo sie an einen anderen Ort, über den man sich noch nicht entschieden hat, gebracht werden.
     Für heute wird der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch in Przemysl erwartet. Auf den zerstörten Festungswerken und auf dem Stadthause wurde die russische Fahne gehißt. Mit den Kriegsberichterstattern traf eine Abteilung des russischen Roten Kreuzes mit Aerzten und einem Feldspitale in Przemysl ein. Es wurde sofort verfügt, daß die Kranken in sorgfältige Pflege kommen.
     Ein Teil der Einschließungsarmee zog in Przemysl ein. Die Russen haben den Namen von Przemysl in Perisil umgetauft.
 

 

27. März 1915

 

 

Die Verluste der Przemysler Besatzung.

 
Wien, 26. März.
     Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet: Im Gegensatze zu den russischen Meldungen über den Fall von Przemysl seien folgende authentischen Daten festgestellt:
     Die Trümmer von Przemysl wurden über Befehl ohne vorige Aufforderung und ohne Verhandlungen mit dem Feinde nach längst und gründlich vorbereiteter Zerstörung allen Kriegsmaterials dem Feinde überlassen.
     Der Personalstand betrug in der letzten Woche der Belagerung: 44.000 Mann Infanterie und Artillerie, zu zwei Drittel Landsturmtruppen, hievon abzuziehen gegen 10.000 Mann Verluste gelegentlich des letzten Ausfalles am 19. März; 45.000 Mann auf Grund der Kriegsleistungsgesetze eingestellter und in miliätrischer Verpflegung stehender Arbeiter, Kutscher, Pferdeknechte, dann des Eisenbahn- und Telegraphenpersonals; schließlich 28.000 Mann Kranke und Verwundete in Spitalsbehandlung.
     In der Festung bestand die Armierung im ganzen aus 1050 Geschützen aller Kaliber, davon Hauptteil ganz veralteter Muster 1861 und 1875, welche übrigens gleichfalls rechtzeitig gesprengt wurden.
     Die Abweisung des letzen russischen Angriffes in der Nacht vom 21. auf den 22. März erfolgte, da das Gros der Geschütze bereits gesprengt war, nur mit Infanterie- und Maschinengewehrfeuer sowie durch einige einige noch nicht gesprengte Geschütze Muster 1861.
 

 

28. März 1915

 

 

Der Fall von Przemysl.

Das Urteil der sachverständigen Kreise Rußlands.

 
Genf, 26. März. Der Zar verlieh dem Generalissimus Großfürsten Nikolajewitsch den Sankt Georgs-Orden 2. Klasse und dem General Iwanow als Oberkommandierenden der Einschließungsarmee den St. Georgs-Orden 3. Klasse. Wie man aber in Sachverständigenkreisen die Einnahme der Festung wertet, geht deutlich aus den Berichten der Petersburger Korrespondenten hervor. So schrieb der Petersburger Berichterstatter des Stockholmer "Dagblad" unmittelbar vor der Uebergabe Przemysls folgendes: "In russischen militärischen Kreisen ist man der Ansicht, daß selbst, wenn den Deutschen die Eroberung von Ossowiec gelingen sollte, dies ebensowenig wie der zu gewärtigende Fall von Przemysl irgendwelche militärische Bedeutung hätte. Die Deutschen würden bloß um eine Trophäe reicher, ebenso wie wir mit dem Besitz Przemysls. Der Fall von Ossowiec bedeutet noch nicht, daß die Deutschen schon bei Brest-Litowsk stehen, ebenso wie für uns der Besitz Przemysls vom taktischem Standpunkt für das weitere Geschick des Krieges nur von geringem Wert ist."
 

 

 

Przemysl und - Mehkastel.

 
 

Przemysl tat treu seine Pflicht,
Bis es der Hunger überwand.
Kein Mensch den Stab drum drüber bricht,
Es machte Öst´reich Ehr´, nicht Schand´.
Nur eine Wiener "Hausfrau" spricht,
Die als Frau Hamster stadtbekannt:
"Sowas könnt´mir passieren nicht;
Ich hab für zehn Jahr´Proviant."

 
 

 

29. März 1915

 

 

Die "Morning Post" über Przemysl.

 
London, 27. März. Ein Mitarbeiter der "Morning Post" befaßt sich mit dem Fall Przemysls; er schreibt unter anderem: So lange die Festung innerhalb der Aktionsphäre der Feldarmeen gelegen war, schien sie keine besonders wichtige Rolle zu spielen. Sie bot der österreichisch.ungarischen Armee nach dem Rückzug von Lemberg keine Stütze, noch schein sie während des Angriffs auf die Sanlinie im Oktober wesentlich geholfen zu haben. Die Festungen scheinen viel von allem Wert eingebüßt zu haben. In Frankreich leistet die Festungslinie zwischen Verdun und Toul der Feldarmee nicht nur keine Unterstützung, sondern sie wird im Gegenteil durch die Verschanzungen der Feldarmee beschützt. Als die französische Linie einmal durchbrochen wurde, wurden sofort zwei Festungen an der Meuse von den Deutschen zerstört. Es muß deshalb zweifelhaft erscheinen, ob Przemysl für die Oesterreicher als eine Art Pied-á-terre in Galizien bei den auf eine Niederlage der Russen und die Wiedereroberung der Provinz abzielenden Operationen selbst dann von Wert gewesen wäre, wenn die Opterationen genügend fortgeschritten wären, um innerhalb der Spähre der Festung zu gelangen. Die Bedeutung Przemysls bestand hauptsächlich darin, die russische Belagerungsarmee festzuhalten. Dafür war die gleichwertige österreichisch-ungarische Streitkraft in der Festung eingeschlossen, so daß man auch diesen Wert bezweifeln kann.
 

 

 

Der Kaiser läßt sich über Przemysl berichten.

 
Wien,28.März. Der Kaiser empfing vormittags in Schönbrunn den Rittmeister Lehmann in längerer besonderer Audienz. Lehmann, der bekanntlich als letzter Offizier mit Leutnant Stanger mit einem Flugzeug Przemysl verließ, erstattete dem Monarchen Bericht.
     Rittmeister Lehmann erschien Samstag vormittags in der Luftschifferabteilung im Arsenal und hatte hier eine längere Unterredung mit dem Major dieser Elitetruppe Hans Ritter Umlauff v. Frankwell und einigen anderen Kameraden. Rittmeister Lehmann sieht recht gut aus. Er wiederholte seine Mitteilungen über die letzten Tage von Przemysl, konform seinen unseren Lesern bereits bekannten Außerungen, die uns unser Spezialberichterstatter Kurt Freiherr v. Reeden telegraphisch aus dem Kriegspressequartier übermittelte.
 

 

30. März 1915

 

 

Die letzten Grüsse

eines Oberleutnants des Generalstabes an seine Eltern aus Przemysl:
 

Liebe Eltern!

 
     Wenn dieser Brief ankommt, ist das große Drama von Przemysl bereist vollendet. Es ist sicher der ehrenvollste Untergang, den je eine Festungsbesatzung gefunden hat. Ich bitte die lieben Eltern, sich nicht um mich zu sorgen. Was geschehen muß, wird eben geschehen. Kein Fein hätte uns bezwungen, das ist ischer, nur eine höhere Gewalt: der bittere Hunger . . . Nun lebt wohl, liebste Eltern! Wahrscheinlich dauert es sehr lange, bis wieder Nachricht von mir kommt.
Euer Jenö.
     Der Brief trägt den Poststempel: K.u.k. Feldpostamt 11. - Der Brief ist von 21.d. datiert, einen Tag darauf, am 22. wurde die Festung aufgegeben . . .
     Der Gutsbesitzer A.v.H. erhielt von seinem Sohne aus Przemysl gleichfalls am 21., den folgenden Brief:

Liebe gute Eltern!

 

Unsere Lebensmittel sind erschöpft, wir können uns nicht länger halten. Was die Waffen des Feindes nicht zu erreichen vermochten, vollführt der Nahrungsmangel. Das Ganze ist nur mehr eine Frage von Tagen. Wir haben schwere Monate durchlebt. An Blut und Fährnissen schwere. Durch die äußerste Not gezwungen, haben wir versucht, uns durch den Belagerungsring durchzuschlagen. Mit dem Rufe: "Nach Hause!" sind wir auf den Sturm übergegangen. Es war unmöglich! Jetzt warten wir, daß der letzte Bissen Brot und der letzte Bissen Pferdefleisch ausgehe, dann gehen wir in die russische Gefangenschaft. Mir hat während der ganzen Zeit nichts gefehlt. Vollständig gesund, wenn auch stark abgemagert, gehe ich unserm neuen Lose entgegen. - Sobale ich kann, schreibe ich von dort (von wo? weiß ich nicht). Bis dahin küsse ich alle viel tausendmal, Ihr Sie liebender Sohn Akos.
     Besorgt wollen sie meinetwegen nicht sein, wenn das Schicksal mich bisher - wenn auch unser fortwährenden Gefahren - gesund und heil erhalten hat. So wird es uns wohl auch weiterhin, wo wir keiner unmittelbaren Gefahr mehr ausgesetzt sind, gut ergehen.

Przemysl, 21. März.

 

 

 

120.000 Mann Verluste der Russen für Przemysl. - Die gefangene Besatzung ehrenvoll behandelt.

 
Berlin, 30. März. Die "Tägliche Rundschau" berichtet: Der russische Generalissimus hat den Befehl gegeben, die Besatzung von Przemysl besonders ehrenvoll zu behandeln. Die gefangenen Offiziere sollen nicht nach Sibirien, sondern in die Mitte Russlands gebracht werden und alle Begünstigungen sollen ihnen zuteil werden. Die gefangenen österreichischen Offiziere von Przemysl sind gestern in Lemberg eingetroffen und wurden von der Bevölkerung besonders ehrenvoll begrüßt. Die Verluste der Russen bei Przemysl sollen samt der ersten Belagerung drei Armeekorps oder 120.000 Mann betragen.
 

 

 

Przemysler russische Gefangene abermals in unserer Gefangenschaft.

 
Wien, 29. März.
     Der Berichterstatter des "Az Est" meldet aus Ungvar, 29.d.:
Es ist interessant, daß wir in den letzten Kämpfen zahlreiche russische Soldaten gefangen genommen haben, die in Przemysl unsere Kriegsgefangenen waren. Sie wurden nach Uebergabe der Festung sofort ausgerüstet und an die Uzsoker Front gebracht. Ihre Freiheit war aber nur von kurzer Dauer, da wir sie hier neuerdings abgefaßt haben.
 

 

 

General Kusmanek in Kiew.

 
Genf, 29. März. (Privat) "Progres" meldet: General von Kusmanek trug bei seiner Ankunft in Kiew alle Orden sowie den Säbel. Die russischen Offiziere bereiteten ihm Ovationen.
     Die französische Presse berichtet einstimmig, Kusmanek habe bei seiner ersten Begegnung mit General Seliwanow seinen Säbel übergeben wollen. Seliwanow lehnte jedoch ab und sagte, ein tapferer Soldat habe das Recht, seinen Säbel zu behalten.
 

 

 

Die Tochter Kusmaneks - Krankenschwester.

 
Wien, 30. März. (Priv.) Die Tochter des gewesenen Kommandanten von Przemysl, Fräulein von Kusmanek, hat gestern die Prüfung als Rote Kreuz-Schwester abgelegt und ist sofort in ein Spital eingetreten.
 

 

31. März 1915

 

 

Aus den letzten Stunden von Przemysl.

Interessante Mitteilungen eines Artillerieleutnants an seine Marburger Angehörigen. Mit der letzten Fliegerpost befördert.

 

Graz, 30. März. Artillerieleutnant Stefan R. sandte an seine in Marburg lebenden Angehörigen folgenden, hochinteressanten Feldpostbrief über die letzten Vorgänge in Przemysl, welches Schreiben am 28.d. seinen Verwandten in Marburg zuging und vom "Grazer Volksblatt" veröffentlicht wird. Das Schreiben umfaßt drei Abschnitte und trägt die Daten 17., 18. und 19. März. In dem Schreiben vom 17.d.M. heißt es:
     "Heute noch beobachteten unsere Vorposten eine äußerst rege Bewegung des Feindes. Einem unserer Vorposten, einem Unteroffizier, gelang es, weit an die feindlichen Fortlinien zu kommen, und bald spielte das Telephon eine wichtige Rolle. Es hieß, zum Kampfe bereit zu sein.

Der letzte Sturm der Russen abgeschlagen.

     Es dauerte nicht lange, und schon ging es los. Erst leuchteten russische Leuchtgranaten auf, dann spielten schon ihre Scheinwerfer. Die langen Strahlenarme griffen über die Ebene und die Vorwerke. Es wurde uns etwas kühl, nicht weil uns bange geworden wäre, sondern weil wir wußten, daß wir unseren letzten Rest der Kraft zusammennehmen müßten. Dann funktionierten auch bei uns die Schweinwerfer. Vor den Positionen fallen einzelne, sogenannte verlorene Schüsse, dann eine Pause. Waren es Sekunden oder Stunden? Dann eine Salve, sie klang nach schweren Kaliber, dann folgte Schuß auf Schuß von beiden Seieten ununterbrochen, daß die Bastionen zitterten und bebten, als wären sie aus Holz und nicht aus Beton. Die Russen versuchten zwei Stürme, aber sie gelangten nicht einmal an die Außenbefestigungen der Vorwerke, dann schien es, als wollten sie einen Generalsturm wagen. Mit einem furchtbaren Getöse brach der ganze Angriff in unserem Feuer zusammen. Gegen Morgen hatten wir Ruhe. Wir waren fruchtbar müde.

Der Durchbruchsversuch.

Dann folgt nachstehender Anfang vom 18. März:
     "Ich schreibe am Sockel einen schweren Festungshaubitze. Jeden Augenblick erwarte ich das Signal zum Feuern. Das Geschütz ist geladen, die Richtung gegeben. Nur noch der nötige Druck und die Erde bebt uns wieder unter den Beinen. Der Festungskommandant erließ heute einen Armeebefehl, morgen gibt es einen Ausfall. Kusmanek will versuchen, sich durchzuschlagen. Wir haben den Feind irrezuführen. Ich muß mein Schreiben unterbrechen, wir gehen das Essen holen . . . Viel wird es nicht sein!"

Und nun folgt ein neuer Anfang mit dem Datum vom 19.d.M., indem sich der Schmerz über die Tragödie der Festung und seiner heldenmütigen Besatzung in wahrhaft erschüttender Weise wiederspiegelt. Es heißt:
     "Der Ausfall hat stattgefunden, einen wesentlichen Erfolg hatte wir nicht. Unsere Leute schlugen sich mit auch für uns seltener Bravour, hatten aber einen viel zu überlegenen Fein vor sich, sie mußten sich zurückziehen. Das Feuer von uns hatte aber doch auch seinen Erfolg und lange schien der Feind nicht zu wissen, wo und wie er bei der ganzen Sache steht. Unsere Geschütze haben eine enorme Arbeit geleistet,

das letzte Mal,
     wie wir soeben erfahren . . . Der Kommandant hat schon seine Befehle erteilt, dann . . . kommen die Pioniertruppen an die Arbeit! Bald, sehr bald! Aus dem Donner der Explosionen wird es nur Rauch und Feuer, Stein und Staub geben. Die Geschütze sind bereits zum großen Teil unbrauchbar gemacht. Er unsere Artilleristen dabei an der Arbeit sah, den muß es schwer ums Herz werden, und wenn er noch so abgestumpft wäre durch die Leiden der letzten Tage . . . Die Augen naß, das Gesicht verhärmt . . . Es war bitter . . . Morgen kommt dann der Tag der Uebergabe und dann die Reise. Wohin? Wohl nach Sibirien . . . Daß es so kommen mußte, und dabei noch keine Aussicht, die uns die Hoffnung brächte, bald nach Hause zu kommen. Weiter schreiben wäre zwecklos! . . . Ob der Brief überhaupt noch an seine Adresse kommt? Die Flieger übernehmen ihn zur Weiterbeförderung . . . Daß sie doch die Heimat wiedersehen möchten! . . .

 

 
 
 

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