1. Dezember 1914

 

   

Nachrichten aus Przemysl.


     Wiener Neustadt, 27. Nov. Von dem als Oberleutnant eingerückten Vorsitzenden des Erkenntnissenats Landesgerichtsrat Dr. v. Aull traf gestern aus Przemysl an das hiesige Kreisgericht folgende Feldpostkarte ein.
     "Nachdem gerade ein Flieger aufsteigt der die Feldpost mitnimmt, benütze ich die Gelegenheit, um mitzuteilen, daß es uns allen recht gut geht."
     Budapest, 27. Nov. "A Nap" erhielt durch einen Flieger beförderten Brief vom 16.d. aus Przemysl.
Es heißt darin:
     "Neuerdings umschlossen, erwarten wir frohgemut jeden Augenblick den neuen Ansturm. Wir sind voll heroischer Entschlossenheit bereit, die Reihen des Gegners niederzumachen. Die Stimmung der Besatzung ist ausgezeichnet; wir scharen uns Mann für Mann begeistert um die Fahne des Kommandanten."
 

 

 

Eine Luftkarte von Przemysl nach Prag.

 
     Prag, 30. November. (E.D.) Ein Prager, der als Reserveleutnant in Przemysl liegt, hat an seinen Schwiegervater eine Feldpostkarte geschrieben, die er in Przemysl vom 23. d. M. der Fliegerkompagnie zur Beförderung aufgegeben hat. Auf der Karte heißt es: Hoffentlich kommen die Luftkarten alle an. Uns geht es tadellos. Heute kolossale Begeisterung über die deutschen Siege und unsere in Serbien. Hier ist gar nicht los, aber rein gar nichts. Die Herren Russen haben noch vom letztenmal die Nase voll und die Lust auf Przemysl ist ihnen vergangen.
 

 

2. Dezember 1914

 

 

Aus Przemysl

 
     Ofenpest, 2. Dez. Ein Bravourstück ganz besonderer Art, das von unserem Fliegerkorps in Przemysl ausgeführt worden ist, wird bekannt. In Przemysl wurde dieser Tage ein Mann der Besatzung von einem wütenden Hund gebissen. Im Aeroplan wurde der Mann aus der Festung an die Grenze und von dort mit der Eisenbahn in das hiesige Pasteurinstitut gebracht, wo er sich derzeit in Behandlung befindet.
 

 

 

Die Verteidigung Przemysls.

 

   Wien, 1. Dezember. (K.B.) Amtlich wird verlautbart: 1. Dezember mittags. An unserer Front in Westgalizien und Russisch-Polen herrschte im allgemeinen auch gestern Ruhe. Vor Przemysl wurde der Feind bei einem Versuche, sich den nördlichen Vorfeldstellungen der Festung zu nähern, durch Gegenangriffe der Besatzung zurückgeschlagen. Die Kämpfe in den Karpathen dauern fort.
     Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes: von Höfer, GM.

 

 

3. Dezember 1914

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

 
     Wien, 30. Nov. Ueber die Lage von Przemysl wird berichtet, daß die Belagerung durch die Russen bisher nicht die geringsten Fortschritte gemacht hat und daß von einer Gefahr für die Festung gar keine Rede sein könne. Die Russen haben nur schwächliche Angriffe gemacht die mühelos abgewiesen wurden. Die Stimmung der Verteidiger ist vortrefflich, die Versorgung der Festung mit allem Nötigen reichlich.
 

 

 

Platzmusik im zernierten Przemysl während eines Regens am 15. November
Nach einer mittels Fliegers übermittelten Aufnahme unseres Spezialphotographen.

 

Russische Kriegsgefangene, die unsere tapferen Truppen bei einem Ausfalle am 17. November nach Przemysl einbrachten.

Nach einer mittels Fliegers übermittelten Aufnahme unseres Spezialphotographen.

 

Unsere Feldpiloten vor einem Auffstiege im zernierten Przemysl während Schneetreibens am 20. November.

 

 

 

Günstige Situation in Przemysl.

Die Belagerungsarmee lahmgelegt. - Große Verluste der Russen.

 
     Krakau, 2. Dezember. (Privattelegramm des "Neuen Wiener Journals") Zahlreiche Leute in Krakau haben Briefe und Karten aus Przemysl erhalten, die auf dem Luftwege befördert worden sind. Die Briefschreiber teilen mit, daß sich die Besatzung und die Bevölkerung in Przemysl sehr wohl fühlten und alle feindlichen Angriffe zurückgeschlagen sowie daß durch eine Reihe glücklicher Ausfälle den Russen bedeutende Verluste zugefügt worden sind. Ein Militärarzt teilt mit, daß die Belagerungsarmee kleiner ist als das erste Mal und daß beinahe völlige Ruhe herrscht, die nur durch unsere Ausfälle unterbrochen wird. Vorräte sind in Przemysl in Hülle und Fülle vorhanden und die Gesundheitsverhältnisse ausgezeichnet. Die Situation ist sehr günstig.
 

 

 

Przemysl.

 
     Wien, 1. Dez. Amtlich wird verlautbart:
Vor Przemysl wurde der Feind bei einem Versuche, sich den nördlichen Vorfeldstellungen der Festung zu nähern, durch Gegenangriffe der Besatzung zurückgeschlagen.
     Ueber Przemysl wird weiter berichtet, daß die Belagerung durch die Russen bisher nicht die geringsten Fortschritte gemacht hat, und daß von einer Gefahr für die Festung gar keine Rede sein könne. Die Russen haben nur schwächliche Angriffe gemacht, die mühelos abgewiesen wurden. Die Stimmung der Verteidiger ist vortrefflich, die Versorgung der Festung mit allem Nötigen reichlich.
 

 

5. Dezember 1914

 

 

Nachrichten aus Przemysl

 
Ein Offizier schrieb aus Przemysl am 16.v.M. eine Feldpostkarte an seine Eltern in Peävali, die am 26.v.M. in deren Besitz gelangte und worin es heißt: " Wir sind zwar eingeschlossen udn von der Außenwelt abgeschnitten, doch befinden wir uns sehr wohl. Eines fehlt, und das sind die Nachrichten von Euch. Doch wird auch die ein Ende nehmen. Sorget Euch also nicht um mich, denn ich bin hier in der reinsten Lebensversicherung. Mit Wintersachen habe ich mich auch gut versorgt, so daß ich einem weiteren feuchtfröhlichen Verlauf der Sache ruhig ins Auge sehen kann. Schreibet nur ruhig weiter, damit ich nach der Entsetzung von Przemysl nicht wieder so lange auf Nachrichten warten muß"

*   *   *

Wie aus dem richtigen Einlangen dieser Feldpostkarte zu ersehen ist, traf der Flieger von außen in Przemysl pünktlich ein. Es ist für die Verbindung von Przmysl mit der Außenwelt gesorgt.

*  *  *

Ein Prager, der als Reserveleutnant in Przemysl liegt, hat an seinen Schwiegervater eine Feldpostkarte geschrieben, die er in Przemysl am 23. November, also vor einer Woche, der Fliegerkompagnie zur Beförderung aufgegeben hat. Auf der Karte heiße es: "Hoffentlich kommen die Luftkarten alle an. Uns geht es tadellos. Heute kolossale Begeisterung über die deutschen Siege und unsere in Serbien. Hier ist gar nicht los, aber rein gar nichts. Die Herren Russen haben noch vom letztenmal die Nase voll und die Lust auf Przemysl ist ihnen vergangen.
 

 

6. Dezember 1914

 

 

Die Belagerung Przemysls.

 
     Budapest, 5. Dezember. Bei Przemysl lockerte sich die russische Angriffslinie, da von dort Truppen für den nördlichen Kriegsschauplatz abgezogen wurden.
 

 

 

Feldpostkarten vom Kommandanten Przemysls.

Beste Stimmung und Kampfeslust in der Festung.

 
     Von einer der Familie des Verteidigers Przemysls G.d.I. Hermann Kusmanekt v. Burgneustädten nahestehenden Seite erfahren wir, daß die Familie als letzte Nachricht am 29. v.M. zwei Feldpostkaren aus Przemysl erhielt, welche die Daten des 14. und 21. November tragen und mit Aeroplanen aus der Festung befördert wurden.
     Aus diesen Nachrichten erhellt, daß in der Festung beste Stimmung herrscht und volles Vertrauen und große Kampfeslust vom Kommandanten bis zum jüngsten Mann der Besatzung bestehen, obgleich diese seit dem 5.v.M. durch die Russen wieder gänzlich von der Welt abgeschnitten sind, mit Ausnahme der Luft und der Radiotelegraphie! Auch wird mitgeteilt, daß der Festungskommandant zwischen dem 14. und 21.v.M. auf radiotelegraphischem Wege Kenntnis von seiner Beförderung zum General der Infanterie erhielt, sowie von der hohen Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse, das Kaiser Wilhelm dem tapferen General in Anerkennung seiner heldenmütigen Haltung bei der ersten Belagerung verliehen hat.
     Es dürfte interessieren zu erfahren, daß der Vater des G.d.I. v. Kusmanek, der nachmalige Polizeirat Josef Kusmanek im Jahre 1849 als junger Offizier unter Radetzky in Italien gekämpft hat. Zur selben Zeit wurde der Vater des Polizeirates, also der Großvater des Generals, Johann Nepomuk Kusmanek, wegen seiner Kaisertreue von Rebellen in Peterwardein standrechtlich erschossen, weil er mit einigen Genossen die Festung, die sich in Händen der Aufständischen befand, den kaiserlichen Einschließungstruppen ausliefern wollte.
 

 

7. Dezember 1914

 

 

Eine Aeusserung des Erzbischofs von Przemysl.

(Telegramm des "Neuen 8 Uhr-Blattes".)

 

Kopenhagen, 7.Dezember.

     Ein Korrespondent der "Daily Chronicle" hatte mit dem Erzbischof von Przemysl, der nach Rom gereist ist, eine Unterredung. Der Kirchenfürst soll gesagt haben: " Es war mein innerlichster Wunsch, meine Kathedrale und meine Stadt vor den Schrecken einer feindlichen Invasion verschont zu sehen. Aber jede Hoffnung ist eitel. Przemysls Besatzung kämpft auf das heldenmütigste gegen die an Zahl überlegenen Russen. Es glückte mir, aus der Stadt zu entkommen, aber erst nach einer langen Wanderung durch die russischen Linien."
 

 

9. Dezember 1914

 

 

Eine Auszeichnung für die Oberin des Przemysler Nonnenkloster.

 
     Wien, 9.Dez. Der Kaiser hat der Oberin des Nonnenklosters der Felizianerinnen in Przemysl, Franziska Stojalovska, in Anerkennung pflichttreuen und aufopferungsvollen Verhaltens vor dem Feine die Verdienst-Medaille verliehen.
 

 

10. Dezember 1914

 

 

 

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

 
     Bukarest, 9. Dezember. aus Petersburg wird gemeldet: Das "Novoje Bremja" beschäftigt sich in einem Artikel mitder Lage in Ostgalizien und schreibt über die zweite Belagerung von Przemysl folgendes: Den ersten Ansturm hat die wundervoll kämpfende ungarische Besatzung (bekanntlich bildeten die Ungarn nur einen Teil der Besatzung D.R.) der starken Festung heldenmütig zurückgeschlagen. Die neue Belagerung findet auch unter ungünstigen Verhältnissen für die russische Armee statt. Wir haben bedenken müssen, ob wir die Festung wieder mit lebenden Kräften erstürmen oder die klassische Kampfmethode, die ununterbrochene Beschießung, anwenden sollen. Radko Dimitrev entschloß sich für das letztere, da der erste Ansturm für uns mit kolossalen Verlusten geendet hat. Przemysl wird also fortwährend beschossen; wir müssen aber eingestehen, daß bisher wenig Erfolg erzielt wurde.
 

 

11. Dezember 1914

 

 

 
       Przemysl vom Gegner nur eingeschlossen, nicht angegriffen. Die stets unternehmungsfreudige Besatzung beunruhigt die in achtungsvoller Entfernung vom Festungsgürtel haltenden Einschließungstruppen fast täglich durch kleinere und größere Ausfälle.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes:
von Höfer, Generalmajor.

 

 

 

In Przemysl eingeschlossen.

 
Von einem aus der tapferen Schar, die die Festung Przemysl während ihrer ersten Belagerung verteidigte, erhält die "Franf.Zig." folgende Schilderung:
Przemysl ist in einem Umkreis von 60 Kilometer befestigt. Die Befestigung ist nicht nur eine künstliche, sondern zum Teil auch eine natürliche und ist daher außerordentlich widerstandsfähig. Die Russen könnten dort ihr Ziel wohl nur erreichen, wenn sie viele Monate lang ununterbrochen stürmen würden und einige hunderttausend Mann zu opfern gewillt wären. Anders würde es nicht gehen. Und da die Russen dazu gewiß nicht die Zeit haben werden, kann man Przemysl als nahezu uneinnehmbar bezeichnen.
      Ich habe die erste Belagerung vom 23. September bis 9. Oktober mitgemacht. Die Russen haben dabei neun Korps verwendet.
 

 

 

Oesterr.-russischer Kriegsschauplatz.

 
     Przemysl, 9. Dez. Die russische Belagerungsarmee ist diesmal weit schwächer wie zuerst und wird auf höchstens 100.000 Mann berechnet. Die bisherigen Ausfälle aus der Festung brachten den Russen riesige Verluste bei. Ein russischer Sturm auf die Festung ist zurzeit nicht möglich, weil die Russen viel zu schwach sind. Sie beabsichtigen, die Stadt auszuhungern, doch ist dies unmöglich, weil die Vorräte über ein Jahr ausreichen.
 

 

13. Dezember 1914

 

 

700 Gefangene bei Przemysl gemacht.

 

Die Besatzung von Przemysl brachte von den letzten Ausfällen 700 Gefangene Russen und 18 erbeutete Maschinengewehre mit sehr viel Munition heim.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes v. Höfer, GM,

 

 

14. Dezember 1914

 

 

 
     Der Mailänder "Seeolo vom2.D. berichtete, Bischof Pelczar von Przemysl habe auf seiner Fahrt nach Rom im Zuge erzählt, daß die Einschließung von Przemysl eine vollständige sei. Die Besatzung sei übel daran, weil die Russen schon mehrere vorgeschobene Werke erobert hätten, und die Stadt selbst sei in einem trostlosen Zustande. Viele Gebäude seien zerstört. Die Verwundeten lägen sogar schon in den Kirchen, die Sterblichkeit sei ungeheuer. Es herrsche Hungersnot. "Ich wünsche von ganzem Herzen", so habe der Bischof seinen Bericht abgeschlossen, " daß ich die Festung wieder erreiche, aber ich habe keine Hoffnung mehr." Der Heroismus der Besatzung reicht nicht aus. Das Verhältnis der Russen zu uns ist zwei zu eins."
     Im "Popolu Romano" und im "Offservatore Romano" findet sich ein Dementi des Bischofs. Darin heißt es: Der Bischof erklärt kategorisch, er habe ähnliches nicht gesagt. Er habe bloß gesagt, das Przemysl belagert und tapfer verteidigt wurde, daß es jetzt wieder belagert werde und daß Galizien schwer gelitten habe. Weiters wird festgestellt, daß der Bischof Przemysl noch vor der ersten Belagerung verlassen habe.
 

 

15. Dezember 1914

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

 
Ueber die Lage von Przemysl wird dem "Berliner Tagblatt" von seinem Kriegsberichterstatter gemeldet: Durch die verlustreichen Erfahrungen der ersten Belagerung gewitzigt, sahen die Russen bisher von Angriffen größeren Umfanges auf Przemysl ab. Nur in Einzelfällen ließen sie gegen die vorgeschobenen und feldmäßig befestigten österreichischen Stellungn Sturm laufen. Da die russischen Soldaten die grauenhaften Todesszenen bei dem früheren Generalsturm noch in frischer Erinnerung haben, kam es wiederholt zu Gehorsamsverweigerungen der zum Sturm befohlenen Truppen. Die Meuterer wurden von starkem Aufgebot ihrer eigenen Armee umzingelt, entwaffnet und gefesselt in der Richtung Lemberg abtransportiert. Der Oberbefehl über die Belagerungsarmee scheint nach Mitteilungen gefangener russischer Offiziere wieder dem General Radko Dimitriew übertragen worden zu sein. Der seit Rennenkampfs Sturz beim Oberkommandierenden Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch wieder in Gunst gekommen ist. Bisher hat die tapfere Besatzung alle Angriffe zurückwerfen können. Die Stimmung in Przemysl ist unverändert zuversichtlich und entschlossen.
 

 

 

Zwischen zwei Belagerungen.

 

In der Festung Przemysl.

 
Der Berichterstatter der xxxxx schreibt seinem Blatte: Im Cafe Stiebers Billardsaal blenden noch die elektrischen Lampen. Halbwach liege ich da und sehe die Sonne langsam über 14 Betten, aus denen tiefes Schnarchen ertönt, aufgehen. Heute nacht waren es hauptsächlich Ulanen und Pionieroffiziere, die hier schliefen. Sie hatten eine Anzahl von Automobilisten abgelöst und diese wiederum, wer weiß wen, ja wer kann sich daran noch erinnern? Meine Schlafkameraden wechselten von Tag zu Tag. Offiziere kommen aus der Schlacht, trinken einen "Kapuziner" im Cafe, natürlich nur wenn es noch Milch gibt, speisen eine Portion Schinken, was in der Festung als größter Luxus gilt. - Generale stehen in Queu, wenn Herr Sieber eigenhändig den Schinken anschneidet - und erhalten dann ein Bett als Zugabe. 15 Betten mit weißem Laken stehen in diesem hinteren Raume des Cafes und verschönern die Gegenwart für den, der zuerst kommt. Man legt sich ohne alle Formalitäten zu Bett. Jeder ist willkommen, nur muß der beim Abschied einen Vers in das Stammbuch des Wirtes schreiben. In Kürze werden sie wieder fort wein diese 14 jungen Männer und wer weiß, ob ich sie jemals wiedersehe. Wie Knaben schliefen sie ein, schmiegten sich in die Kissen und freuten sich nach monatelanger Entbehrung an diesem richtigen guten Bett. Sie erwachten und ohne große Worte, ohne irgendwelche Gesten gingen sie ihrem Schicksal entgegen. Ein einzelner nur sagte mir im Vorbeigehen: "Leben die wohl, vielleicht liege ich heute abend . . . draußen! Das Leben ist doch so schön. Denken Sie ein wenig an mich, wenn Sie es gut haben!" Er lachte ein wenig gezwungen. Aber seitdem kann ich mich nicht wieder niederlegen, ohne sein rotes Haar und sein bleiches entschlossenes Gesicht vor mir zu sehen. Der kleine Pionierleutnant, der noch vor kurzem die Schulbank gedrückt hat, sitzt auf der Bettkante und beschäftigt sich mit statistischen Berechnungen einer neuen Eisenbahnbrücke, als Ersatz für die von den Russen gesprengte. In dem Bette an meiner Seite wälzt sich unruhig ein Hauptmann von den Tiroler Landesschützen. Er kam gestern nach Przemysl leicht verwundet, nachdem er drei Wochen lang ununterbrochen in Schützengräben gelegen hatte. Er hatte dem Tode ins Auge gesehen, aber als er im Hospital, wo man ihn verbunden hatte, die armseligen Astern auf dem Tisch, die Bilder auf dem Lampenschirme und den kleinen Singvogel im Bauer, alles Geschenke der Krankenpflegerinnen, gesehen hatte, brach er in Tränen aus. Später nahmen wir den Hauptmann mit in Offizierskasino, wo auf dem Tische ein schmutziges Tuch lag und wo ein wenig einladend aussehendes Dienstmädchen mti Weinkaraffen hereinkam. Hier wurde er plötzlich vergnügt und wollte singen. Ich glaubte, daß er zuviel getrunken hatte, bis ich die Entdeckung machte, daß er sozusagen psychologisch berauscht war von Licht, Wärme und angenehmer Stimmung. Als er später in seinem Bett lag, kam die Reaktion. "Wissen Sie, " sagte er mit ein wenig geniert, "wenn man monatelang draußen in den Schützengräben gelegen hat, so bekommt man eine ganz unsagbar große Sehnsucht nach all den Kleinigkeiten, die das Leben verschönern und die man sonst gar nicht achtet."
Man wäscht jetzt im Cafe den Boden auf, alle Stühle stehen auf den Tischen; jetzt gibt es Frühstück . Erst Kommißbrot! Die Dame am Büffett reicht mit ein Glas Tee, wir leeren den Brotkorb und stecken uns noch einige Stücke in die Tasche. Hinter der geschlossenen Tür hört man Automobile herankommen. Wenn die Türe aufgeht, dringt Kanonendonner bis zu uns. In der ersten Tagen waren wir immer still, um ihn zu hören, jetzt hören wir ihn gar nicht mehr. Bald sind die Festungsgürtel hinter uns und das niederträchtige Zickzack der Minen, die komplizierte Grausamkeit der Stacheldrähte und die Schrecknisse der "spanischen Reiter". Vor uns liegt das offene Land.
Alle Gebäude der Umgegend sind von Pionieren vor Beginn der Belagerung gesprengt worden. Von einem Schloß steht nur noch die Stelle, wo das Portal sich befand. Eine einsame Säule mit einer Sandsteinvase darauf. Die letzten Morgennebel flattern auseinander und der Himmel erscheint durchsichtig wie Kristall. Honvedhusaren galoppieren den Weg entlang. Schere Mörser, Munitionsprotzen und Sanitätswagen rasseln vorbei. Auf den Feldern lagern Reserven von Infanterie. Die Fahne des Brigadekommandanten weht vor der Apotheke in N. Hier halten auf einem Leiterwagen drei gefangene russische Offiziere. Deutlich unterscheiden wir jetzt die Kanonade der österreichischen und russischen Artillerie. Die Oesterreicher geben Salven in schneller Reihenfolge, die Russen hingegen feuern alle Schüsse ihrer Batterien gleichzeitig ab. Der Weg senkt sich langsam zum Flusse herab. Sappeure sind eben dabei, eine Notbrücke zu schlagen. "Ist es wahr", sagt einer von den Soldaten zu mir, " daß Deutschland in Frankreich Frieden geschlossen hat, Bedingungen: Belgien, Marokko und 60 Milliarden?" Und da ich über diese Phantasien lachte, sagt ein anderer: "Aber Paris ist doch deutsch? Ja, Sie müssen entschuldigen," fügte er hinzu, "aber wir haben seit vier Wochen gar keine Nachrichten mehr." In Nove Miasto sind alle Scheiben zerbrochen. Die Stadt erscheint wie ausgestorben, der rote Wein hängt über die leeren Fenster und aus der Ferne ertönt Gesang. Wir begegnen Leiterwagen mit schwerverwundeten Soldaten im Stroh, während sich die vorrückenden Truppen an ihnen vorbeibewegten. Aus der Ferne höre ich deutlich den Gesang: "Brüder, Brüder zieht das alte Schwert". Unaufhörlich rollen die Wagen durch Nove Miasto. An einigen Stellen brennt die Stadt bereits und der Himmel über den benachbarten Dörfern, die bereits in Flammen stehende, ist blutigrot. An einer Wassermühle am Flusse ist eine Hilfsstation fürs Rote Kreuz eingerichtet. Die Verwundeten werden hineingetragen und auf Strohsäcke niedergelegt. Da brennt das Auge eines jungen Moslim auf mir. Sieht er vielleicht in seiner Todesstunde die Minaretts behängt mit Lampen wie beim Ramasanfest? Wandert er über die Brücke in Mostar, die Brücke, von der der Dichter sagt, daß sie wie ein Vogel ist, der nur mit seinen Flügelspitzen die Klippen berührt? Hört er den Muezzin zum Gebet rufen und seine Hände nach Mekka ausstrecken oder hat er bereits die Schwelle zum Paradies des Propheten überschritten, wo die Quellen rauschen und die Houris sich im Tanze wieden? Der Zigeunerviolinist, dessen Arm zerschossen ist, träumt vor sich hin: er fährt wohl über die Pußta mit weißen Ochsen vor seinem Wagen und wenn das Bild sich vor seinem seelischen Auge verändert, so spielt er wohl seiner Kindheit Melodien vor schönen Frauen in einem Nachtcafe in der großen, großen Stadt, wo selbst die Brücken über die Donau aussehen wie die Saiten auf einer Violine. Ich schäme mich plötzlich meines Handwerks: hier als professioneller Beobachter zu stehen, hier wo so viele Herzen brechen.
 

 

16. Dezember 1914

 

 

Aus Przemysl.

 
"Az Est" meldet: In Oberungarn ist ein aus Przemysl kommender Militäraviatiker gelandet. Er erklärte, daß Przemysl heute ebenso stark und unversehrt wie am ersten Tage der Belagerung sei. Nicht das geringste sei an Terrain verloren. Das Verteidigungsheer sei ständig in vorgeschobener Stellung, unternehme täglich Angriffe mit glänzenden Erfolgen, die Soldaten seien guter Laune. Lebensmittel seien reichlich vorhanden, auch für die Gefangenen, weshalb eine Aushungerung unmöglich sei.
 

 

17. Dezember 1914

 

 
Die Besatzung von Przemysl unternahm einen neuerlichen großen Ausfall, bei dem sich die ungarische Landwehr durch Erstürmung eines Stützpunktes mit Drahthindernissen auszeichnete. Wie gewöhnlich wurden Gefangene und erbeutete Maschinengewehre in die Festung gebracht.
 

 

18. Dezember 1914

 

 

Luftpost aus Przemysl.

Vollste Zuversicht in der Festung.

 
     Aus Prag, 17.d., telegraphiert man uns: Der Kadett Dvorak hat an seine hier lebenden Eltern eine am 10. d. aufgegebene Luftpostkarte aus Przemysl gesandt, in der er mitteilt, daß er gesund ist und das Lebern in der Festung recht angenehm sei. Die Besatzung ist voller Zuversicht und hofft auf ein baldiges Zurückdrängen der Russen. Dvorak dankt für die Zusendung eines Feldstechers, den er mittels der aviatischen Post pünktlich erhielt.
     Ein Leser stellt dem "Pester Lloyd" den folgenden Feldpostbrief aus der nun schon das zweitemal eingeschlossenen Festung Przemysl zur Verfügung:
     30. November: Wir sind seit dem 7. November eingeschlossen. Die Russen sind außerstande, uns zu belagern. Es finden bloß kleinere Gefechte statt, wenn unsere Infanterie Ausfälle unternimmt. Zuweilen beschießen die Russen schwach das eine oder andere Werk, jedoch ohne Erfolg. Wir feuern sofort auf sie, wenn wir sie erblicken. Wir dürften voraussichtlich so lange eingeschlossen bleiben, bis die vereinten Armeen einen entscheidenden Sieg erfochten. Verpflegt sind wir sehr gut; wir haben in der Stadt eine eigene Offiziersmesse errichtet, in der wir sehr nahrhaft und gut und billiger denn anderswo essen. Sehr unangenehm ist bloß der völlige Mangel an Zeitungen. Die kleine Festungszeitung bringt nur sehr spärliche Nachrichten. Denke Dir, wir reiten sogar!   Ein Freund hat zwei russische Pferde gekauft, von denen das eine eine große Wunde hatte, aber bereits geheilt und jetzt ein sehr gutes Pferd ist. Der Kompagniekommandant hat ein sehr komische Pferd, das "Gyula" heißt. Ich rutsche auf ihm immer von einer Seite auf die andere. Einige Tage war es hier sehr kalt, bis 16 Grad Minus. Jetzt ist es etwas wärmer. Wir hörten von den großen deutschen Siegen, erwarten täglich die Fortsetzung und hoffen, daß wir Ende Jänner wieder zuhause sein werden.
     Am 9. Dezember: Der Flieger fliegt erst morgen ab. Es hat sich nichts geändert. Die Russen haben eine Vorfeldstellung weit vor der Gürtelfestungslinie gestürmt, wurden jedoch unter großen Verlusten zurückgeschlagen. Dies war bisher ihr einziger größerer Angriff.
 

 

 

Die Belagerung von Przemysl.

Not der Russen an Geschützen und Proviant.

 
     Budapest, 17.Dezember. (Tel.d."Fremden-Blatt".)
Der "Pester Lloyd" meldet: Ein aus Przemysl eingetroffener Feldpostbrief besagt, die Russen haben so wenig Kanonen und Truppen, daß sie außerstande sind, die Belagerung zu forcieren. Es finden bloß kleinere Gefechte statt, wenn die Unsrigen Ausfälle unternehmen. Viele Russen ergeben sich wegen der Kälte und Not an Lebensmitteln. Die Russen haben eine Vorfeldstellung weit vor der Gürtelfestungslinie gestürmt, wurde unter großen Verlusten zurückgeschlagen. Auch haben sie so wenige Geschütze, daß sie nur eine Seite beschießen können.
 

 

 

Ausfall aus der Festung Przemysl.

 
Die Besatzung Przemysls unternahm einen neuerlichen großen Ausfall, wobei ungarische Landwehr durch Erstürmung eines Stützpunktes mit Drahthindernissen sich auszeichnete. Wie gewöhnlich wurden auch diesmal Gefangene und erbeutete Maschinengewehre in die Festung gebracht.
 

 

 

Przemysl.

 
     In Oberungarn landete ein aus Przemysl kommender Flieger, der in einem großen Sturm dorthin verschlagen worden war. Er erklärte, Przemysl sei unvermindert stark und unversehrt, wie am ersten Tage der Belagerung. Es sei nicht das geringste Terrain verloren. Das Verteidigungsheer liege in ständig vorgeschobenen Stellungen und unternehme täglich Angriffe mit großem Erfolg. Die Soldaten seien guter Laune, fassen die Lage romantisch auf und machen viele Spässe. Lebensmittel seien reichlich vorhanden, auch für die Gefangenen, weshalb eine Aushungerung unmöglich sei. Die Leitung halte eine Einnahme für ausgeschlossen.
     Nach einer Meldung aus Petersburg beschäftigt sich "Rusky Invalid" mit der Belagerung Przemysls
warnt davor, daß unsere Armee unterschätzt werde. Przemysl ist eine moderne, große Festung, welche nur mit größter Anstrengung und Ausdauer genommen werden kann, nachdem Sturmangriffe unbedingt mit großen Verlusten zurückgeschlagen werden. Der Vormarsch gegen Krakau muß auch als sehr schwierig betrachtet werden. Die Artillerie des Gegners arbeitet vorzüglich und hat eine Zielsicherheit, mit der die der russischen Artillerie nicht verglichen werden kann.
 

 

19. Dezember 1914

 

 

 

 

 

Ein russisches Blatt bereitet auf das Aufgeben Warschaus und der Belagerung Przemysls vor.

 
     Bukarest, 19. Ez. (Priv.) Das Blatt "Nowoje Russ" bereitet auf den Abzug der Russen von Przemysl vor und schreibt: Dieser erste wirklich moderne Krieg bietet ein Bild, wie man es bisher nicht kannt. Unausgesetzt finden furchtbare Schlachten statt, ohne eine Entscheidung herbeizuführen. Freund und Feind sind in abwechslungsreichem Hin- und Herfluten. Rückzug ist nicht Niederlage, sondern oft eine strategische Maßregel. So gaben wir Lodz auf und werden, wenn es nützlich scheint, auch die Belagerung von Przemysl vorübergehen einstellen, ja wir würden sogar Warschau räumen. Wir müssen nichts anderes bedenken, als das Ziel, dem wir ja schon so nahe sind.
 

 

20. Dezember 1914

 

 
Fliegerpost aus Przemysl.
Poetische Grüße eines Wieners.
 
     Ein Wiener Redakteur erhielt von seinem Freunde Robert G., dem Sohn eine bekannten Wiener Kunstschlossers, der sich unter der heldenmütigen Besatzung Przemysls befindet, durch die Fliegerpost folgenden poetischen Gruß, der Zeugnis gibt von der guten Stimmung, die unter der Besatzung der Festung herrscht:

Seit drei Tagen geht´s bei uns soakrisch zu.
Wir lassen dem Feind - und er uns ka Ruah!
Die ganze Zeit - beim Tag und auf d´Nacht
Hört ma nur immer - wias scheppert und kracht!
Weil wir aber do vül besser schiaß´n,
Wird dena Russ´n bald´s Schiaß´n verdriaß´n!
Fünfhundert G´fang´ne ham ma gestern g´macht,
Heut´a wieder a paar - no i hob g´lacht!
So werd´n ma die Russ´n scho obidrah´n -
Und nachand alle einazahn!! -
Mei liabe Gitarr´hat jetzt gar nix mehr z´tun,
Sie derf jetzt schön stad in an Winkerl ruh´n.
Wann d´Arbeit da gar is . nach a fahr´i nach Wean,
Da werd´ns a paar neuche Kriegsliedeln hör´n!

 

"Keine Sorgen!"

 
      Unter den in Przemysl stationierten Mannschaften befindet sich , wie aus einer durch Fliegerpost aus der Festung übermittelten brieflichen Mitteilung hervorgeht, auch der Obmann der Wiener Praterhüttenbesitzer Herr Ludwig Pretscher. Herr Pretscher, der Besitzer der Grottenbahn und mehrerer Praterobjekte ist, weilt schon seit Monaten auf dem Kriegsschauplatz. Er dient bei der Artillerie. Der erwähnte Brief, den ein gleichfalls in der Festung befindlicher Kamerad an seine Familie in Wien sandte, trägt die Unterschriften von dreißig Wienern, darunter auch die des Praterobmannes. Alle befinden sich gesund und wohlauf und ersuchen, ihre Angehörigen zu verständigen, damit sich dieselben über das Befinden der Absender weiter keine Sorgen machen.
 

Aus der Festungszeitung.

 
     Unter der letzten Post, die von einem Fliegeroffizier aus dem belagerten Przemysl nach Krakau gebracht worden ist, befand sich auch eine Nummer der "Ziemia Przemyska" vom 26. November des polnischen Blattes, das auch jetzt in der Festungsstadt erscheint. Die Nummer bringt unter anderem interessante Berichte über die russischen Gefangenen, die in den Schützengräben vor Przemysl gefangengenommen worden sind. Die Gefangenen erhählten unter anderem, daß in den russischen Schützengräben ein derartiger Frost herrschte, daß den Soldaten das Gewehr aus den erstarrten Händen fiel, ferner daß die russischen Truppen keine warme Nahrung bekamen. Des weiteren bringt das Blatt einen Artkikel, in dem vor der Verbreitung von unsinnigen Berichten gewarnt wird und zur Ruhe und Bewahrung kalten Blutes aufgefordert wird. Schließlich findet sich in dem Blatte ein Bericht über eine Feierlichkeit in dem Kloster der heiligen Feliziar in Przemysl, in dem jetzt ein Militärspital eingerichtet ist. Bei dieser Feierlichkeit zelebrierte Bischof Fischer eine Messe und an diesem
feierlichen Gottesdienst nahmen die Repräsentanten der Militärbehörden verwundete Soldaten sowie die Zivilbevölkerung teil. - In Przemysl herrschte Frostwitterung am 24.v.M. 12 Grad Celsius, am 25. 15 Grad unter Null.
 

 

 

Das standhafte Przemysl.

 
   Berlin, 19. Dez. (Privattelegramm des "Neuen Wiener Journals".) Der militärische Mitarbeiter der "Vossischen Ztg." und der "B.Z.", Major a.D.v.Schreibershofen, schreibt: Noch haben sich die Russen nicht zur Aufgabe der Einschließung von Przemysl entschließen können, trotzdem die österreichisch-ungarische Armee nach den letzten Meldungen bereits auf vierzig Kilometer herangerückt ist. Der Entsatz des Platzes ist aber bei dem erfolgreichen Vorgehen der Oesterreicher auf der ganzen Front nur noch eine Frage der Zeit.
 

 

 

 

Ein Ausfall der kühnen Besatzung von Przemysl, der den Russen erhebliche Verluste beibrachte.

 

 

22. Dezember 1914

 

 

Fliegerpost aus Przemysl.

Siegeszuversicht und Vertrauen.

 
     Aus Bozen wird uns geschrieben: Die Angehörigen eines in Przemysl nun schon zum zweitenmale Eingeschlossenen erhielten dieser Tage von ihm durch die Flugpost bförderten Brief, dem wir Nachstehendes entnehmen:
     "Nun haben wir bereits das zweitemal das Vergnügen, aus unserer Festung
ringsherum auf die Russen "spucken" zu dürfen. Das erstemal war es eine Belagerung, die die Russen mit mehr als 70.000 Mann teuer genug zu bezahlen mußten; diesesmal sind wir nur "zerniert", das heißt mit anderen Worten, die Russen getrauen sich doch nicht mehr heran, denn es ist genug, sich einmal den Schädel tüchtig einzuschlagen. Was wir bei der ersten Belagerung und dem anschließenden wahnsinnigen Sturm mitgemacht haben, läßt sich nicht mit Worten beschreiben. Einen Begriff von der Schrecklichkeit dieses Kampfes (für die Russen nämlich) könnt Ihr Euch machen, wenn Ihr Euch vergegenwärtigt, daß unsere Maschinengewehre in den Reihen der Russen wie die Sensen des mähenden Landmannes gearbeitet haben.
     Die armen Teufel wurde wie eine Herde Schafe von ihren Kommandanten, natürlich über "höheren Befehl", zu uns hergetrieben und boten das denkbar beste Ziel. Bald war förmlich eine "Mauer von stehenden Toten" gebildet und dahinter, so unglaublich es auch klingt, deckten sie dann ihren Rückzug . . . Ich wollte damals mit höherer Erlaubnis eine photographische Aufnahme machen, aber der Anblick all dieser Schrecklichkeiten trieb mir das Grauen herauf und ich kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück. Es ist einfach nicht zu schildern. Für uns war ja diese verfehlte Taktik Dimitrieffs von großem Vorteil, aber schließlich ist man ja doch auch Mensch wie alle diese, die da in schrecklichster und man möchte sagen unverantwortungsvollster Weise ihr Leben lassen mußten, und fühlt mit . . .
     Jetzt sitzen wir wieder "schön warm", "spucken" hin und wieder einmal ins russische Lager hinüber und fühlen uns wie die "Herrgötter" in - Tirol (denn in Frankreich möchte ich jetzt auch nicht Herrgott Sein!) sind vergnügt und sehen dem, was da kommen wird, mit Siegeszuversicht und Vertrauen entgegen. Von der Außenwelt sind wir ja auch nicht ganz abgeschlossen, da unsere braven Flieger die Rolle der Postillione übernommen haben und so geht uns nichts ab.
     Wenn nicht hin und wieder unsere Brummer arbeiten würden, um den Feinden "Grüße aus Przemysl" zu senden, dünkten wir uns eigentlich im schönsten Frieden. Neuigkeiten gab´s in Hülle und Fülle - aber darüber besser - hoffentlich in Kürze - mündlich.
 

 

24. Dezember 1914

 

 

 

Von einem Ausfalle, den Truppen unserer heldenmütigen Besatzung von Przemysl unternahmen, bringen diese zahlreiche russische Gefangene und Kriegsmaterial in die Festung ein.

 

 

 

Auch die Besatzung von Przemysl soll ihre Weihnachtsgaben bekommen.

 
     Für die wunderbare Menschlichkeit des hohen Herrn zeugt die Tatsache, daß der Erzherzog auch an die Weihnachtsbescherung der Truppen, die in Przemysl eingeschlossen sind, gedacht hat. "Glauben Sie ja nicht, daß ich der Liebesgaben für die heldenhafte Besatzung Przemysls vergessen habe", sagte der Erzherzog. "Alle Weihnachtsgaben, die für die Soldaten der Besatzung bestimmt sind, wurden in separaten Waggonen untergebracht. Wer kann es jetzt sagen, wann die Freudenbotschaft aus Przemysl kommen wird. Aber wann immer sie kommt, die Liebesgaben stehen zur Abfahrt bereit. Wenn sie auch ihre Geschenke nicht am heiligen Abend bekommen werden, unsere Liebe und Dankbarkeit dringt an diesem Abend doch zu ihnen."
     "Die Soldaten wissen, daß Euere kaiserliche Hoheit väterlich für sie sorgen,", bemerkte der ungarische Schriftsteller."Es erfüllt mich mit Genugtuung, daß sie es wissen. Ich habe das Gefühl, daß sie mich lieb haben," sagte der Erzherzog und erzählte mir tief gerührt, daß, wie er Feldmarschall geworden sei, von überall her ganze Berge Gratulationen gekommen seien. Aus den entlegensten österreichischen Gebirgsdörfern haben Familien Glückwünsche an ihn gerichtet und sein geliebtes 5. Korps hat im Felde rührend seiner gedacht. Die Soldaten feierten den Feldmarschall in den Schützengräben.
 

 

 

Von dem belagerten Przemysl.

 
Wie man durch Postkarten, die Luftschiffe herausbefördern, erfährt, ist es mit der Belagerung durch die Russen gar nicht wichtig. Es fehlt den Russen an geeigneten Kanonen und wohl auch an Mannschaften, um diese Riesenfestung vollkommen zu umzingeln. Bei den Ausfällen der Belagerten werden immer einige hundert Gefangene gemacht. Kalt muß es jedoch trotz der hitzigen Gefechte unseren Soldaten sein, denn in Galizien würden in der letzen Zeit 16 Grad Kälte verzeichnet. Der Rückzug der Russen wird auch Przemysl bald ganz freimachen.
 

 

25. Dezember 1914

 

 

Aus dem belagerten Przemysl.

 
S.Budapest, 24. Dezember. (Priv.) Eine hiesige Familie hat heute den Brief eine Offiziers aus Przemysl erhalten, in dem es u.a. heißt: Auch diesmal sind die Versuche der Russen, Przemysl zu nehmen, vergeblich. Seit der neuen Umklammerung haben wir viel schwere und kampfreiche Stunden verbracht, obzwar der Angriff der Russen bei eitem nicht so heftig und unvernünftig ist wie bei der ersten Belagerung. Munition und Lebensmittel sind reichlich vorhanden. Auch zum Schlafen haben wir jetzt immer hinlänglich Zeit.
 

 

29. Dezember 1914

 

 

Ein Aeroplanbrief aus Przemysl.

 
Aus Krems wird uns berichtet: Eine hiesige Dame erhielt in den letzten Tagen einen mit der Fliegerpost beförderten Brief aus Przemysl, in welchem es heißt:
"Es geht uns wirklich gar nichts ab als die Post, die nun schon drei Wochen nicht mehr verkehrt. Unsere Belagerer wären sicherlich im siebenten Himmel, wenn es ihnen so gut ginge wie uns. Die werden bald mit kunrrendem Magen und kalten Füßen wieder abziehen! Selbst wenn sich im allerschlimmsten Falle die Belagerung diesmal langwieriger gestalten sollte, darffst Du keinen Moment für uns fürchten. Es ist alles für viele Monaten vorgesorgt. Der Windter ist hier viel schöner als in Wien. Kein Nebel und kein Stadtdunst, immer Frost, blauer Himmel und Sonne, der Schloßberg prächtig im weißen Kleide, die Stadt ihm zu Füßen, lieb und weich eingebettet. Unsere Patienten im Spitale sind schon alle sieben bis acht Wochen hier. Die meisten sind schon viel besser, einige beginnen schon aufzustehen, und da geht es in manchem Zimmer so vergnügt zu, daß Du Dich nicht in einem Spital, noch weniger aber in einer belagerten Festung glaubst . . . "
 

 

31. Dezember 1914

 

 

Weihnachten in Przemysl.

Austausch von Weihnachtsgrüßen zwischen Besatzung und Belagerern.

 

        Wie die Krakauer "Nowa Reforma" berichtet, sind bei Kraukau am Weihnachtsabend über den russischen Positionen zwei österreichische Flieger, von den feindlichen Geschossen verfolgt, aufgestiegen und nach 1 1/2 Stunden in der eingeschlossenen Festung Przemysl glücklich gelandet, worauf sie am zweiten Weihnachtsfeiertage unter Mitnahme mehrerer tausend Briefe nach Krakau zurückkehrten. Die Rückfahrt dauerte drei Stunden.
     Nach den Mitteilungen der kühnen Flieger haben die Belagerungs- und Besatzungstruppen miteinander Weihnachtsgrüße getauscht. Während der Feiertage wurde Przemysl von den Russen nicht beschossen und auch die Festungsgarnison machte keine Ausfälle.
     Wie vortrefflich die Stimmung in Przemysl ist, beweist wohl der Umstand, daß dort stark besuchte Konzerte stattfinden, an denen als mitwirkende Kräfte sich sowohl Militär- als auch Zivilmusiker beteiligen.
 

 

 

Przemysl.

 
Mailand, 31. Dezember. (Priv.Tel)
     "Secolo" meldet aus Petersburg, daß "Rußkoje Slowo" die baldige Erstürmung von Przemysl verlangt, weil durch die kräftigen Ausfällr der Besatzung der russischen Armee sehr viel Schaden zugefügt wird.
     Der angesehene Militärschriftsteller Michailowski schließt sich dieser Forderung an mit dem Zusatz, daß dieses Unternehmen allerdings viel Blut kosten werde. Diesen Ausfassungen gegenüber betont "Nowoje Ruß", daß es nicht ausgeschlossen erscheine, daß die Belagerung von Przemysl aus taktischen Gründen nochmals aufgegeben werden könnte.
 

 

 

 
Von Frl. Frieda Swoboda, einer Schwester des bekannten Weltmeisterstemmers und Restarateurs Karl Swoboda, die in Przemysl als Rote Kreuz Schwester tätig ist und die zweite Belagerung mitmacht, traf nachstehendes Schreiben ein, das mit der Fliegerpost aus der Festung befördert wurde:
     "Uebermittle durch die liebe Fliegerpost die herzlichsten Grüße und wünsche Euch und allen Verwandten und Bekannten fröhliche Weihnachten. Ein Flieger nimmt diesen Brief mit und zwar durch die Protektion des Herrn Heindl aus Inzersdorf. Ich bin froh, daß ich jemand Bekannten hier habe. Gott ist mit uns und der Sieg wird unser sein. Auf jeden Schuß, tausend Russ´! Sorgt euch nicht, Gott hat mir besonders geholfen, ich bin unverdrossen. Wir richten gerade für Weihnachten her und werden uns nach MÖglichkeit die Feiertage angenehm machen. Przemysl heißt Prrrrrzemysl ! Die Russen verbrennen sich furchtbar die Nase hier. Ich denke viel an Euch, bitte sorgt Euch nicht, Furcht kannen wir hier nicht. Tausend Grüße nochmals Eure Frieda. Grüße von meinen Mitschwestern.
 

 
 
 

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