3. Februar 1916

 

   
Was vom Offizier der Przemysler Besatzung über seine Kriegsgefangenschaft berichtet.

Einem nach Österreich zurückgelangten Austauschgefangenen ist es gelungen, trotz der peinlich genauern Visitierung, der diese Invaliden vor dem Verlassen des russischen Reichs unterworfen werden, Nachrichten von einem Offizier mitzubringen, der mit der Przemysler Besatzung seinerzeit in russische Kriegsgefangenschaft geriet und über seine Erfahrungen in dieser schreibt. Er schreibt da u.a.:

" Der Moment der Uebergabe war wahrhaft gemütserschütternd; ich wünsche mir keinen zweiten solchen noch erleben zu müssen. Wie ich mit meinen letzten Nachrichten aus Przemysl mitteilen konnte, benahmen die Russen sich gelegentlich der Uebergabe schön und edel. Man beließ uns die Säbel und sicherte uns zu, daß wenigstens der Festungsstab in Europa bleiben würde und in eine gute Station, keinesfalls nach Sibirien, kommen werde. Auch ein erträgliches Leben stellte man uns in Aussicht.

Es kam aber ganz anders. Je tiefer wir ins Land kamen, desto ärger wurden die Nörgeleien. Volle drei Wochen waren wir unterwegs, hatten täglich mehrere, auch vielstündige Aufenthalte auf irgend einem entlegenen Geleise eines Frachtenbahnhofs, ohne die Möglichkeit, uns zu verköstigen. Wenn der Zug in der Nähe eines Stationsgebäudes hielt, verweigerte man uns den Zutritt zum Restaurant oder mutete uns zu, im Wartesaal vierter Klasse zu essen. Ein vorbereitetes Essen wir nur an jedem dritten bis fünften Tag.

Täglich verlautete ein anderes Reiseziel und wir fuhren immer weiter und weiter. Endlich in Omsk hieß es: aussteigen; man hatte uns zugesichert, daß wir in Privathäuser oder allenfalls in einem Hotel oder Gasthof untergebracht würden. Es war ein merkwürdiges Hotel, in das wir geführt wurden; eines jener Deportationsgefängnisse, wie man sie häufig beschrieben findet.
Ein großes stockhohes Gebäude mit großen, hohen sogenannten Wohnräumen und drei ebenerdige Gebäude mit größeren und kleineren Räumen, alle mit zweietagigen Pritschen versehen.

In einem solchen Raum, der normal als Mannschaftsbelag nach unserem System für dreißig Mann kaum ausgereicht hätte, wurden hier sechzig Offiziere, vom Kadetten bis zum Oberst, alt und jung, mit unseren Dienern eingesperrt. Die Aborte waren entsetzlich, der Gestank erstickend, Ungeziefer aller Art gab´s zu Millionen. Auf der harten Pritsche lag sich´s elend; von Schlafen war keine Rede.

So vergingen einige Wochen! Die Kost schien für kräftig gebaute Schlangenarten berechnet und war für uns fast unerträglich. Das Gefängnis hatte einen großen Hof, der allerdings mit sechs Meter hohen Palisaden umsäumt war.

Dieses Gefängnis durften wie auch unter Bedeckung nicht verlassen. Endlich gestattete man uns die Anschaffung von Strohsäcken und sonstigen Bedarfsartikeln, die uns die Diener um teures Geld herbeischafften.

Eines "schönen" Tages wurde uns auch noch das Geld abgenommen, vor unsrer Abreise nach Tobolsk allerdings wieder ausgefolgt.

Tausend Nörgeleien aller Art, deren Schilderungen zu viel Raum in Anspruch nehmen würde, gäbe es zu berichten; kurz gesagt, man behandelte uns nicht als kriegsgefangene Offiziere.

Die Säbel hatte man uns noch vor dem Eintreffen in Omsk abgenommen. In Omsk mußten wir auch die Distinktionen abtrennen. Ueberraschende Visitierugen unserer Effekten fanden einigemale statt. Alle Augenblicke hieß es, daß wir in eine andere Station kommen, es herrschte auch ein ununterbrochenes Eintreffen und Abgehen von Transporten.

So lebte man schlecht und immer schlechter, in voller Ungewissheit von heute auf morgen.

Im September trat plötzlich ein Umschlag ein. Wir durften die Distinktionen wieder aufnähren und in kleinen Partien unter Bedeckung in die Stadt, d.h. ins Bad marschieren, durften aber nicht auf dem Trottoir gehen, sondern mußten die meterhoch dreckig oder staubige Straße benutzen.

Hier in Tobolsk geht es uns - ich kann sagen - ziemlich gut. Wir wohnen in größeren und kleineren Partien in Privathäusern. Meine Partie - 11 Herren - mit drei Dienern in einem rohen Holzhaus wie die Mehrzahl der Gebäude hier, aber freundliche Zimmer. Wir können uns natürlich unter Bedeckung, unsere Bedürfnisse selbst schaffen. Wir haben eigene Küche, einen Koch und leben halbwegs menschlich.

Die Stadt Tobolsk ist recht nett und auch rein, die Bevölkerung, die Kaufleute wenigstens, freundlich, was in Omsk nicht der Fall war. Nur leiden wir jetzt ziemlich allgemein an Geldmangel. Der Zahlungstag unserer geringen Gebühren (50 Rubel per Monat) wurde einfach um drei Wochen verschoben.

Natürlich ist alles wahnsinng teuer. Gegenstände, die man bei uns um 50 bis 80 Heller bekommt oder wenigstens in Friedenszeit bekam, kosten hier in ziemlich minderer Qualität 2, 3 und mehr Rubel. Seit unserem Eintreffen hier ist tiefster Winter und wir haben seit einigen Tagen Temperaturen von -20 -28 Grad Reaumur.

Heute erhielt ich Nachricht, daß für mich ein Paket eingelangt ist; welches, weiß ich nicht.

Unsere kriegsgefangenen Mannschaften haben sehr schöne Wintersachen bekommen. Zu diesem Zweck weilt gegenwärtig eine schwedische Kommission hier, die die reichhaltigen, vortrefflichen Gegenstände im Namen unseres Roten Kreuzes verteilt.

Nun aber muß ich schließen. Ich weiß übrigens überhaupt noch nicht sicher, ob dieses Schreiben abgehen kann . . ."

Bezüglich der Geldverhältnisse sei hier bemerkt, daß bei uns gegenwärtig der Goldrubel K 2.50, der Silber- oder Papierrubel   2 K gilt.
 
 
 

www.heeresgeschichten.at